Fussverkehr

von Hugo Caviola
— 2025 —

1. Ein neues Wort

Das Wort Fussverkehr ist relativ jung. In der Schweiz wurde im Jahr 1999 die Arbeitsgemeinschaft Recht für Fussgänger (ARF) in Fussverkehr Schweiz umbenannt. Der erste deutsche Fussverkehrskongress fand 2014 in Wuppertal statt. Das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache (DWDS) führt das Wort Fussverkehr mit einem deutlichen Frequenzanstieg seit 2016 an. Davor wurden Zufussgehende offenbar nicht als zum Verkehr gehörig, als Verkehrsteilnehmer:innen, gesehen. Mit dem Wort Fussverkehr wird der menschliche Fuss nun als weiteres Transportmittel erkannt, das die Menschen am Verkehr ‹teilnehmen› lässt. Dem neuen Wort Fussverkehr hängt allerdings noch etwas der ‹Geruch› von Fach- und Behördensprache an. Im Alltag ist es noch nicht ganz angekommen.

Im Folgenden gehen wir der Frage nach, in welchem Mass der Gebrauch des neuen Wortes Fussverkehr seit seiner Einführung zu einem Wandel des Verkehrsdiskurses beitragen konnte. Wir wollen wissen, ob der neue Wortgebrauch die Kraft besitzt, die Interessen der Zufussgehenden in das Gesamtverständnis von Verkehr aufzunehmen und dieses in Richtung einer ressourcenschonenden und nachhaltigen Mobilität voranzubringen. Damit fragen wir auch, welche sprachlichen Mittel einem solchen Wandel entgegenstehen. In unserer Untersuchung beziehen wir uns auf das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) und vertieft auf amtliche Publikationen aus dem Schweizerischen Bundesamt für Umwelt (BAFU) und dem Bundesamt für Verkehr (ASTRA) der letzten Jahre. Wir beschliessen die Analyse mit Folgerungen für einen gehfreundlichen Sprachgebrauch.

2. Wie man zum Fussgänger oder zur Fussgängerin wird

«Das Zufussgehen, die grundlegendste Form der Fortbewegung, wird oft nicht als Verkehr wahrgenommen», lesen wir im Handbuch für Fusswegnetzplanung des Bundesamtes für Strassen (ASTRA 2015, 3). Diese Beobachtung wirft zwei Fragen auf: Was ist Verkehr? Und was macht einen Menschen zu einem Fussgänger, zu einer Fussgängerin? Gehen wir zuerst die zweite Frage an.

Ziehe ich mit einem Rucksack durch die Berge, so bin ich Wanderer, gehe ich entspannt durch einen Park, so bin ich Spaziergänger, streife ich ziellos durch eine Einkaufsstrasse, so bin ich Flaneur oder Passant, und gehe ich schließlich über einen Fussgängerstreifen oder ein Trottoir, so finde ich mich in einen Fussgänger verwandelt. Gehe ich zu Fuss, so entscheiden offenbar die Räume, in denen ich mich bewege, wesentlich darüber, wer ich bin: Spaziergänger, Fussgänger oder Flaneur. Diese Entscheidung wurde nicht immer so getroffen. Im Mittelalter, so lehrt uns das Herkunftswörterbuch des DUDENs, war ein vuozgenger ein Fuss-Soldat, ein Mann aus dem sog. Fussvolk, der nicht zu den Berittenen, meist Adeligen, gehörte (DUDEN, Herkunftswörterbuch, 1997, 213). Er wurde also durch seine Rolle in einer militärischen Formation zum Fussgänger gemacht. Heute ist es seine Rolle im öffentlichen Raum und im Strassenverkehr. Der DUDEN definiert einen Fussgänger als einen «zu Fuß gehenden Verkehrsteilnehmer» (Das Bedeutungswörterbuch, Band 10, 2002, 390).

Welche Bedeutungen verbinden wir heute mit dieser Identität? Die Linguistik nähert sich dieser Frage mit dem Konzept der sog. Frames; das sind Deutungsrahmen, die sich beim Gebrauch eines Wortes in unseren Köpfen auftun. Gemeint sind damit vernetzte Wissenszusammenhänge, die auf unseren gesammelten Erfahrungen im Sprachgebrauch und unserem Sprach- und Weltwissen aufbauen. Sie leiten unser Denken und Handeln an, meist ohne dass wir uns dessen bewusst sind (Ziem 2008, 443). Wie diese Frames beschaffen sind, lässt sich statistisch erfassen, wie es z.B. auch das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) tut.

3. Fussgänger:innen – die Bedrängten

Das DWDS führt zum Wort Fussgänger Kollokationen an. Diese zeigen, welche statistisch bedeutsamen Verbindungen bestimmte Wörter mit anderen Wörtern eingehen, und beziehen sich auf große Textkorpora wie Zeitungstexte über mehrere Jahrzehnte. Solche ‹Wortseilschaften› gewähren Einblicke in den gedanklichen Zuschnitt, den Frame, den das Wort Fussgänger in unseren Köpfen aufruft.

  1. Das Wort, das laut DWDS am häufigsten in Verbindung mit dem Wort Fussgänger vorkommt, ist Radfahrer. Dies deutet darauf hin, dass die beiden Personengruppen häufig zusammen einer Kategorie zugeordnet werden. Seit einigen Jahren gibt es die Bezeichnungen aktive Mobilität und Langsamverkehr für diese Gemeinsamkeit. Ihre Verbindung ist auch darin begründet, dass im Hintergrund die Richtgrösse Auto besteht.[1] Vgl. dazu das Leitbild Langsamverkehr des ASTRA von 2002. Es unterscheidet drei Säulen des Personenverkehrs: den Motorisierten Individualverkehr (MIV, den Langsamverkehr (LV) und den öffentlichen Verkehr (ÖV). Da der Ausdruck langsam im Kontext einer auf Beschleunigung angelegten Kultur negativ konnotiert ist, wird das Wort Langsamverkehr auch kritisch gesehen. Der Verein umverkehR verwendet ihn z.B. aus diesem Grund nicht.

  2. Das Wort Fussgänger kommt in Zeitungstexten am häufigsten in Verbindung mit den Verben anfahren, erfassen, überfahren und übersehen vor. Dies deutet auf die Textsorte Unfallberichterstattung, in der Fussgänger offenbar gehäuft vorkommen. Im Lichte der Unfallberichte gehören Fussgänger:innen zu einer gefährdeten Menschengruppe, die oft angefahren, erfasst und überfahren wird. Der Frame dieser Verben deutet indirekt auch auf FahrzeuglenkerInnen hin, welche diese anfahren, erfassen, überfahren und übersehen.

  3. Kaum rosiger sieht das Bild bei den adjektivischen Attributen des Wortes Fussgänger aus. Es sind dies der querende, der angefahrene und betrunkene Fussgänger. Hier zeigt sich das Bild eines Menschen, der stört, verletzt und alkoholisch eingetrübt ist: ein Menschentyp, der an den jaywalker aus dem englischen Sprachraum erinnert, ein spöttischer Ausdruck, der in den Anfängen der amerikanischen Autogeschichte für bestimmte Fussgänger üblich war und so viel wie Tölpel, unachtsamer Mensch bedeutet (Norton 2008, 71ff).

  4. Und schließlich bilden sich um das Wort Fussgänger auch Präpositionalgruppen. Die häufigsten unter ihnen lauten Sicherheit für Fussgänger, Platz für Fussgänger, Unfall mit Fussgänger und Brücke für Fussgänger. 

In der Summe deutet dieses Wortprofil des Fussgängers auf eine bedrängte, gefährdete, am Leben bedrohte Menschengruppe hin, die mit Gewalt rechnen muss und mehr Raum und Sicherheit nötig hat. Die heutigen Fussgänger:innen scheinen darin durchaus mit den mittelalterlichen Fusssoldaten verwandt, die zuunterst in der militärischen Ordnung zu Hause waren und ein gefährliches Leben führten. Gefahr droht ihnen heute nicht mehr von einem feindlichen Heer, sondern vom motorisierten Verkehr. 

4. Fussverkehr und motorisierter Verkehr im Kontakt

Um die gesellschafts- und verkehrspolitische Tragweite des Ausdrucks Fussverkehr einzuschätzen, müssen wir uns zunächst vergegenwärtigen, wie der Verkehr aussah, bevor der Fussverkehr in ihn integriert wurde. Dies führt uns zur zweiten eingangs gestellten Frage: Was ist Verkehr? Im 20. Jahrhundert verstand man den Strassenverkehr noch weitgehend als ein Geschehen unter Motorfahrzeugen; Fussgänger:innen wurden – wie lange auch die Radfahrer:innen – als verkehrs-externe Personen wahrgenommen. Das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache definiert Verkehr noch heute hauptsächlich vom Auto her, «Bewegung, Beförderung von Fahrzeugen, Personen, Gütern o. Ä. (auf den dafür vorgesehenen Wegen); Gesamtheit der Fahrzeuge, Personen, Güter, die sich (auf den dafür vorgesehenen Wegen) bewegen oder befördert werden. Das häufigste Adjektivattribut des Wortes Verkehr ist laut DWDS motorisiert.[2] https://www.dwds.de/wp/?q=Verkehr Der Frame von Verkehr ist bis heute stark motorlastig und autoorientiert. 

Abbildung 2: https://www.astra.admin.ch/astra/de/home.html (12.08.24)

Das Titelbild der Website des Bundesamtes für Strassen (ASTRA) bestätigt diesen Befund. Wir sehen eine nächtliche Kreuzung von Strassen aus der Vogelperspektive, darauf Lichtspuren von Autos, insgesamt ein Verständnis von Strassen, auf die sich keine Fußgänger:innen wagen. Dass Strasse noch heute hauptsächlich als Autostrasse und Verkehr als Autoverkehr verstanden wird, bestätigt auch eine irische Studie von Egan und Caulfield (2024).

Im Kompositum Fussverkehr werden Zufussgehende neu in eine Reihe mit den Autos, Lastwagen, Motorrädern und Velos gerückt und gleichsam als neue Mitbewohner ins bestehende ‹Haus des Verkehrs› aufgenommen. Gemeint ist mit diesem metaphorischen ‹Haus› der öffentliche Raum mit seiner Verkehrsinfrastruktur, die als Allmende gemeinsam genutzt werden soll. Das neue Wort Fussverkehr markiert damit eine räumliche, soziale, aber auch sprachliche Integration. Die gegenwärtige Beschaffenheit dieser Allmende ist heute im mehrfachen Sinne autogerecht. In einer durchschnittlichen mitteleuropäischen Stadt besitzen etwa ein Drittel der BewohnerInnen ein Auto, zwei Drittel keines. Der Strassenraum ist im umgekehrten Verhältnis aufgeteilt. Eine durchschnittliche Strasse weist etwa zwei Drittel ihrer Fläche (Fahrbahn und Parkplätze) den Autos zu, einen Drittel (Trottoirs) den Zufussgehenden. Hinzu kommen die Lärm- und Gestankbelästigung durch die Motorisierten und die Gefahr, die diese für die Nicht-Motorisierten bedeuten. Der schwedische Karikaturist Karl Jilg hat diese Gefahr treffend als Abgrund dargestellt, in den Zufussgehende zu stürzen drohen (vgl. Abbildung 3).

Illustration: Karl Jilg
Abbildung 3: Zufussgehende am Rand. Todesgefahr im öffentlichen Raum (Copyright Karl Jilg)

Die über hundert Jahre aufgebaute Autokultur zeigt, wie fremd sich die neu aufgenommenen Verkehrsmitglieder in diesem ‹Haus› fühlen müssen. Die autogerechte Stadt veranschaulicht auch, welche Anstrengungen von beiden Seiten nötig sind, um die Interessen aller – Zufussgehende, Autos und Velos – aufzunehmen. Man kann sich dieses Haus auch in Anlehnung an das griechische Wort oikos = Haus, Haushalt vorstellen, wie es im Begriff der Ökologie vorkommt, als einen Lebensraum, mit dem man sorgfältig umgehen muss. Laut den irischen Verkehrsforschern Egan und Caulfiel geht es um eine «Neuverteilung des öffentlichen Raums» (Egan and Caulfield 2024, 2).

Seit der Einführung des neuen Wortes Fussverkehr hat sich in der Annäherung von Auto und Fuss einiges bewegt. Sprachlich drückt sich diese Annäherung in neuen Wörtern aus. Das Handbuch für Fusswegnetzplanung (2015), herausgegeben vom Schweizerischen Bundesamt für Verkehr (ASTRA), ist eine Fundgrube dafür. Zwei Assimilationsrichtungen zeichnen sich ab: (1) die Anpassung der Autowelt an die Fussgängerwelt und (2) eine Anpassung der Fussgängerwelt an die Welt des Autos. Wenden wir uns zuerst dem zweiten Typ zu. Hier zeigt sich, wie das alte Verkehrsverständnis im Wort Fussverkehr weiterlebt. Zahlreiche Wort-Neubildungen sind nach dem Vorbild bestehender Komposita aus dem motorisierten Verkehr gebildet (Tabelle 1).

Tabelle 1: Fussverkehrskomposita nach Autokomposita modelliert

Fussverkehrsaufkommen (S. 12)

Es ist nach dem Wort Verkehrsaufkommen modelliert, das “die Zahl der Fahrzeuge in einem bestimmten Bereich” meint.[3] https://www.dwds.de/wb/Verkehrsaufkommen (11.09.2024)

Fussverkehrsanlagen (S. 8)

Es ist nach dem Kompositum Verkehrsanlagen gebildet und bezeichnet die Verkehrsinfrastruktur. 

Gehkomfort (S. 15-16)

Es folgt der Bauweise des Kompositums Fahrkomfort, das vor allem die Bequemlichkeit beim Führen eines Autos meint, sich etwa auf Raumverhältnisse, Federung etc. bezieht.

Fussverkehrsflächen (S. 64)

Es ist dem Wort Verkehrsflächen nachgebildet, das vor allem für Fahrbahnen und Parkflächen gebraucht wird.

Die Beispiele zeigen, wie sich neue Fussverkehrskomposita an bestehende Komposita aus der Autowelt anlehnen. Die Neuorientierung im Verkehr basiert – wie die Autoren und Autorinnen des Handbuchs Fusswegnetzplanung erklären – auf einer Grundmetapher «Gehen ist Verkehr» (Fusswegnetzplanung 2015, S. 9.). Die metaphorische Gleichsetzung von (Auto-)verkehr und Gehen erlaubt, die Bedürfnisse der Zufussgehenden gedanklich in die Welt des motorisierten Verkehrs hineinzutragen und diese zum Beispiel mit sog. Fussverkehrsanlagen auszurüsten. Fussgänger sind nun keine verkehrsfremde Elemente mehr, ihre Interessen werden in schon bestehenden Interessen der Motorisierten gesucht – und gefunden. Der Fussverkehr wird offenbar nach dem Vorbild des Autoverkehrs modelliert. Schauen wir uns diese Übertragungen zwischen den beiden Bereichen noch genauer an. 

Eine metaphorische Übertragung aus dem Auto- in den Fussverkehr geschieht auch dort, wo der Fussverkehr als fliessend oder strömend bezeichnet wird. Zufussgehende werden damit in die Wassermetaphorik aufgenommen, die den Diskurs über den Autoverkehr beherrscht. So lesen wir im Handbuch von Fussgängerströmen (S. 17) und von Quellorten des Fussverkehrs (32), und in der FAZ vom 18.08.19 ist von Fußgänger:innen die Rede, die zu den Haltestellen am Bahnhof West strömen respektive von daher kommen [4] https://oe1.orf.at/programm/20150118/374282/Moment-am-Sonntag. Auch in Wien ist offenbar ein Strömen von Menschen im Gang; hier sind Passanten-, Besucher- und Bevölkerungsströme zu verzeichnen, die von den Behörden gesteuert werden sollen (Abbildung 1).

Abbildung 4: Passanten- und Besucherströme in Wien (Bild: Andrea Sedlaczek 2024)

Dass der Autoverkehr fliesst und fliessen soll, ist bekannt und breit untersucht – auch in seinen ökologisch bedenklichen Implikationen (Caviola/ Sedlaczek 2020, 165-166). Autofahrende werden als Wassermasse verstanden, die durch Strassen fliesst, sich staut, Verkehrsinseln umspült, auf denen Fussgänger Zuflucht vor ihnen suchen. Im Stadtverkehr gibt es grüne oder rote Wellen, am Gotthard ein Tropfenzählersystem für LKWs, weil man vermeiden will, dass der Transitverkehr in die Dörfer einsickert. Mit der Fliessmetapher werden Verkehrsteilnehmer:innen in imaginäre Wasserpartikel verwandelt und ihrer Individualität und Verantwortung beraubt. Die verkehrspolitischen Folgen der Fliessmetaphorik sind verheerend: Wenn Verkehr ein Fluss ist, so erscheint er als ein Naturgeschehen und es gilt nun, diesen Fluss am Fliessen zu halten. Man muss Engpässe ausweiten und Flaschenhälse beseitigen. Werden die Fussgänger:innen in dieselbe Wassermetaphorik aufgenommen, so erscheinen sie als gesichtslose Masse, die von den naturhaften Kräften des Verkehrs-Flusses beherrscht wird. (Diese Vermassung klingt auch im oben zitierten Wort Fussgängeraufkommen an.)

Will man diese ‹Infektion› der Fußgänger:innen durch die Wasser-Metaphorik vermeiden, erscheint es sinnvoll, statt von Fussverkehr von Fussmoblität zu sprechen. Anders als Verkehr wird Mobilität deutlicher vom Individuum aus wahrgenommen. Die Aussage Ich bin mobil ist heute fast gleichbedeutend mit Ich bin frei und fast durchwegs positiv konnotiert (Caviola /Sedlaczek 2020, S.165). Fussgänger:innen strömen dann nicht, sondern sie bewegen sich oder sind unterwegs.

Die Frame-Theorie untersucht u.a., welche sogenannten Leerstellen in einem Wissensrahmen eröffnet werden. Solche Leerstellen «haben den Charakter von Fragen, die sich sinnvoll bezüglich eines Referenzobjektes stellen lassen» (Ziem 2008, 446). Ein Beispiel kann dies illustrieren. Eine sinnvolle Frage in Bezug auf den Autoverkehr kann sein: Wie ressourcenschonend ist er? Die Antwort lautet: Nicht sehr. Motorisierter Verkehr stösst viele Schadstoffe aus, die gesundheitsschädlich sind und wesentlich zur globalen Erwärmung beitragen. Beziehen wir dieselbe Frage auf den Fussverkehr, so zeigt sich, dass dieser «eine der resourcenschonendsten Arten der Fortbewegung» ist (FAZ 30.12.19). Wer zu Fuss geht, verbraucht bekanntlich kein Benzin. Würden wir diese Frage an die Fussgänger:innen auch stellen, wenn sie, ähnlich wie Wander:innen, nicht am Verkehr teilnähmen? Wohl kaum, weil uns der Verbrauch fossiler Treibstoffe in Bezug auf Wander:innen meist kaum interessiert. Wir sehen: Die Frage nach dem Ressourcenverbrauch des Fussverkehrs stellt sich neu durch seinen Einzug in das ‹Haus des Verkehrs›. Die sprachliche Verschmelzung von Fussgänger:in und Autoverkehr im Wort Fussverkehr regt dazu an. Genauer: Die Frage nach der Ressourcenschonung, die aus dem Autoverkehr stammt, wird auf den Fussverkehr angewandt. Die Antwort darauf wird nun als positiver Vergleichswert in den Autoverkehr zurückgespiegelt mit der Folge, dass dieser angeregt wird, in den Belangen der Ressourcenschonung besser zu werden. Das neue Wort Fussverkehr lädt folglich zu Sichtweisen und Fragen ein, welche eine ressourcenschonende Mobilität unterstützen. Dies illustriert: Fussverkehr und motorisierter Verkehr gelangen in ihrem neuen Haus miteinander ‹ins Gespräch› und es findet eine gegenseitige Bereicherung statt.

Da und dort finden sich in diesem gemeinsamen Haus aber auch sprachliche Stolpersteine. Mit dem Gebrauch des alten Kompositums Verkehrslärm wird der Eindruck erweckt, der Fussverkehr erzeuge auch Lärm. Denn, wenn Zufussgehende zum Verkehr gehören, sind sie als Quellen des Verkehrslärm – zumindest sprachlich – mitgemeint. Unter den neuen Bedingungen drängt sich folglich eine Differenzierung auf. Nimmt man das Wort Fussverkehr ernst, so sollte nicht mehr von Verkehrslärm, sondern präziser von Auto-, oder Motorenlärm die Rede sein.

Auch der Ausdruck Strassenlärm bedarf nach der Aufnahme der Zufussgehenden einer Präzsierung. Strassenlärm ist genau genommen ein metonymischer Ausdruck. Er benennt den Lärm von Motoren und das Rollgeräusch von Reifen auf dem Asphalt. Eine reine Fussgänger- oder Velostrasse ist ein ruhiger, weitgehend geräuschloser Ort. Der Ausdruck Strassenlärm kassiert damit, dass nur ein Teil der Beteiligten gemeint ist und bestärkt den Eindruck, dass die Strassen ausschliesslich dem motorisierten Verkehr gehören. Da Strassen heute auch Fussverkehrsräume sind, ist der Ausdruck Strassenlärm irreführend. Präziser wäre auch hier, von Auto- oder Motorenlärm statt von Strassenlärm zu sprechen (Tabelle 2).

Tabelle 2: wechselseitige Übertragungsvorgänge in der Metapher Gehen ist Verkehr

Frame von Motorverkehr

Frame von Fussverkehr 

Es gibt Verkehrsanlagen. 

Es braucht Fussverkehrsanlagen.

Es gibt ein Verkehrsaufkommen.

Es gibt ein Fussverkehrsaufkommen.

Es gibt Fahrkomfort. 

Es braucht Gehkomfort.

Autoverkehr fliesst in der Regel schnell. 

Fussverkehr fliesst langsam.

Ist Motorverkehr ressourcenschonend?

Gehen ist ressourcenschonend.   

Motorverkehr erzeugt Verkehrslärm. 

Fussverkehr erzeugt keinen Fussverkehrslärm. (passt nicht)

Es gibt ruhenden Verkehr. 

Es gibt keinen ruhenden Fussverkehr. (Es gibt keine im öffentlichen Raum geparkten Schuhe)

Wir halten fest, dass die Übertragungen des Autoverkehrsframes auf den Fussverkehr nur begrenzt als Emanzipationshilfe für die Zufussgehenden dienen können. Die metaphorische Verschmelzung von Verkehr und Fuss trägt nämlich nicht nur ‹Fusseigenschaften› wie Ressourcenschonung in die Autowelt, sondern – wie oben gezeigt – auch Autoeigenschaften (wie Fussverkehrsaufkommen und Komfort) in die Fussgängerwelt. Weiter gehört Lärm keineswegs zu den Eigenschaften des Fussverkehrs. Schauen wir, auf welche subtilen Weisen weitere Autowerte im gemeinsamen Haus ‹eingebaut› sind.

5. Abwertungen des Fussverkehrs

Der motorlastige Frame von Verkehr führt Implikationen mit, welche Zufussgehende direkt oder indirekt abwerten.

a) Ein Beispiel ist das Wort Querung. In seinem praktischen Teil stellt das Handbuch eine «hohe Geschwindigkeit der Motorfahrzeuge bei der Fusswegquerung auf der Hofmattstrasse» fest (S. 44). Der Ausdruck Fusswegquerung kann zwei Bedeutungen tragen: 1) eine Autostrasse, die einen Fussweg quert, oder 2) ein Fussweg, der eine Autostrasse quert.

Aus dem Kontext der obigen Formulierung wird deutlich, dass die zweite Bedeutung gemeint ist: Die Fussgänger:innen queren die Autostrasse. Im Handbuch finden wir insgesamt 78 Beispiele von Querungen dieser Art und ein einziges der Art, bei welcher Autos Fussgängerwege queren. («Fahrzeuglenkende biegen zudem langsamer ab, weil sie das Trottoir überqueren müssen.» S. 60) Anders als das Nomen Kreuzung, das einen neutralen Schnittpunkt zweier sich kreuzender Verkehrswege bezeichnet, gewichten und bewerten die Wörter Querung und queren den betreffenden Vorgang. Ähnlich wie die Wörter sich querlegen, Querulant und Quertreiber bis hin zur Querele (Streiterei, Gezänk), bezeichnet quer etwas, das dem Gängigen zuwiderläuft. Wird von Fussgänger:innen gesagt, sie überqueren die Fahrbahn, so wird ihre Bewegung als von der massgebenden Bewegung abweichend abgewertet. Wer wie Fußgänger:innen eine Straße überquert, ist also gewissermaßen ein Quertreiber. Anders gesagt: Das Wort überqueren bestärkt jedes Mal, wenn es gebraucht wird, dass der Autoverkehr Vorrang hat, und der Fussverkehr «quer» dazu läuft, was ja laut Strassenverkehrsgesetz auch so ist. (vgl. dazu: Sprachkompass Bahn, Spur, Streifen und Inseln). Wollte man Autos und Fussgänger:innen als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer:innen darstellen, wäre sachgerechter, von Kreuzungen und von kreuzen zu sprechen. Fussgänger überqueren eine Strasse dann nicht, sondern sie kreuzen sie.

b) Eine subtile Zurücksetzung der Zufussgehenden finden wir auch in der sprachlichen Besonderheit, Fussgänger:innen in sog. Zonen anzusiedeln. Fussgängerzonen und Begegnungszonen (welche sich von den meisten Strassen, den ‹Nicht-Begegnungszonen›, absetzen). Zonen bilden meist Bereiche, die vom Autoverkehr scharf abgegrenzt sind. In Zonen geniessen Zufussgehende mehr Rechte und ihren Bedürfnissen wird deutlicher Rechnung getragen als ausserhalb. Dasselbe gilt für die sog. Tempo-30-Zonen, in denen der Autoverkehr verlangsamt rollt und Fussgänger sowie Radfahrerinnen geringeren Gefahren aussetzt. Das Wort Zone kennzeichnet einen begrenzten Bereich mit Ausnahmecharakter. Fussgänger- und Begegnungszonen wirken heute wie Entschleunigungsinseln innerhalb einer ‹fliessenden› Autowelt. Der Ausnahmecharakter der sog. Zonen ist auch der Grund, warum es keine Autozonen gibt. Niemand käme auf die Idee, eine Autobahn oder eine Schnellstrasse eine Autozone zu nennen. Die Zonen-Ausdrücke weisen darauf hin, dass die meisten Strassen wie selbstverständlich dem Auto gehören. Wollte man die Zufussgehenden von dieser sprachlichen Zurücksetzung befreien, könnte man damit beginnen, die sogenannten verkehrsorierten Strassen als Autozonen zu bezeichnen. Dem Auto würde damit eine eigene Zone zugewiesen und es würde sprachlich deutlich gemacht, dass es nicht fraglos das Mass der Fortbewegung ist.

c) Dass Verkehr hintergründig Autoverkehr meint, lässt sich auch an Verb-Kollokationen ablesen. Stellen Sie sich vor, Sie sehen in einer Stadt ein Schild mit der Aufschrift «Strasse gesperrt». Wie verstehen Sie die Botschaft spontan? Wohl, dass die Strasse für Autos gesperrt ist. Dass die gesperrte Strasse für Zufussgehende offen ist, wird leicht übersehen (vgl. von Schneidemesser 2020). Das Beispiel zeigt, dass der Strassen- und Verkehrsframe Prioritätensetzungen und blinde Flecken enthält, die uns daran hindern, eine Situation aus Fussgängersicht zu erschliessen. Treffender wäre wohl von Fall zu Fall deutlich zu machen: «Strasse für Autos gesperrt».

d) In den Abschnitten 3 und 4 sind wir der Frage nachgegangen, welche gegenseitigen Bereicherungen, aber auch welche Stolpersteine sich aus der metaphorischen Verschmelzung von motorisiertem Verkehr und dem Zufussgehen ergeben.

Im zitierten Handbuch für Fusswegnetzplanung 2015 (kurz Handbuch) fallen neben autoorientierten Wörtern wie Fussverkehrsanlagen und Fussverkehrsströmen zahlreiche Wörter auf, die sich erkennbar n i c h t an bekanntes Autoverkehrsvokabular anlehnen. Sie nehmen Sichtweisen auf, die typisch für Zufussgehende sind.

Zu ihnen gehören zum Beispiel die Fragen nach Begegnungsmöglichkeiten (20) und nach Aufenthaltsqualität (20). Kaum ein Mensch, der Auto fährt, wird von einer Strasse Aufenthaltsqualität und Begegnungsmöglichkeiten fordern. Wer im Auto unterwegs ist, will sich weder aufhalten noch anderen Autofahrern begegnen, auch ist er oder sie wenig an abwechslungsreichen Wegen interessiert. 

Zum Frame der Aufenthaltsqualität gehört etwa der Umstand, dass Zufussgehende sinnesbegabte Wesen sind und bei ihrer Teilnahme am Verkehr in der Regel auch hören und riechen. Automobilist:innen sind in Stahlkäfigen unterwegs und geruchlich und akustisch weitgehend von ihrer Umgebung isoliert. Dass es heute Wörter wie Schnellstrassen und Hochleistungsstrassen gibt, aber Wörter wie Lärm- und Stinkstrassen fehlen, weist darauf hin, dass die sprachliche Darstelllung des Strassenraums aus Fussgängersicht erst an ihrem Anfang steht.  

6. Lärm

Wir haben gesehen, dass der sog. Strassen- oder Verkehrslärm heute präziser als Auto-, Motoren- oder Motorfahrzeuglärm bezeichnet sein müsste. Nun wollen wir noch genauer wissen, wie der Motorfahrzeuglärm in einschlägigen Texten dargestellt wird. Aus welchen Perspektiven und mit welchen Interessen wird er gedanklich erschlossen? Wir wenden uns zuerst einem Text zu, der speziell auf ein Miteinander von motorisiertem Verkehr und der «Lebensqualität in den Siedlungsräumen» (S. 8) aus ist: Nachhaltige Gestaltung von Verkehrsräumen in Siedlungsräumen herausgegeben vom Bundesamt für Umwelt BAFU 2011 (kurz: NGVS).

In welchen Wortbildungen kommt das Wort Lärm hier vor? Wir stossen acht-mal auf das Kompositum Lärmbelastung, zum Beispiel in einem Satz wie diesem: «Bei richtiger Fahrweise lässt sich die Lärmbelastung um 3dB vermindern» (S. 15). Auffällig ist hier das Wort Belastung. Es verwandelt die akustische Störung metaphorisch in etwas, das ein Gewicht hat und das sich messen lässt, wie im Satz genannt in Dezibel. Was als Aufheulen eines Motors, als Rauschen, Dröhnen, Brummen, Röhren von Motoren ans menschliche Ohr dringt, wird in etwas Lautloses verwandelt, in eine abstrakte Last, die es zu tragen gilt, ähnlich wie etwa eine Steuer- oder Schuldenlast. Das Wort Lärmbelastung drückt wohl das Leiden an Lärm aus, lässt aber die akustische Erfahrung dabei verstummen. Auch verdeckt das Wort, dass diese Lärmlast von Menschen geschaffen ist.

Anders das Wort Lärmbelästigung. Es kommt in der Schrift des BAFU NGVS 2011 gar nicht und im zitierten Handbuch ein einziges Mal vor (S. 61). Anders als Lärmbelastung drückt Lärmbelästigung eine direkte Erfahrung aus. Hier stört, bedrängt, reizt, behelligt jemand jemanden durch Lärm. Das grammatische Muster des Verbs belästigen macht es möglich, diese Erfahrung direkt auszudrücken. Es öffnet zwei Leerstellen: Wer belästigt wen? und lässt in der Subjekt- und der Akkusativposition nur Menschen zu. Damit lässt sich direkt ausdrücken, dass es Menschen sind, die andere Menschen mit Lärm belästigen. Kein Stein, kein Gewitter kann Menschen belästigen.

Auch das Nomen Lärmverträglichkeit in der Publikation des BAFU 2011 (S. 34) erschliesst den Lärm direkt aus der Betroffenheit von Menschen.

Neben diesen menschenbezogenen Perspektiven enthalten beide untersuchten Publikationen Formulierungen, die Lärm als ein physikalisches Phänomen erfassen. Lärm erscheint als etwas technisch Messbares, das man ebenso gut Schall nennen könnte. Zwischen den Lärm und die Menschen schiebt sich ein technisches Messgerät und ein rechnerisches Kalkül: Lärmmessung (NGVS 36), Lärmberechnung (NGVS 56), Lärmpegel (NGVS 45), Lärmgrenzwert (NGVS 8), Lärmgrenzwertüberschreitung (NGVS 11), Lärmkataster (NGVS 34) und lärmtechnische Beurteilung (NGVS 56, 12, 45) sind Beispiele. Auch das Kompositum Lärmbelastungsgrenzwerte (S. 8) kommt vor. Das ‹Wortungeheuer› macht verständlich, warum das Wort Lärmbelastung – wie oben festgestellt – so verbreitet ist. Die Last-Metapher lädt dazu ein, den Lärm zu gewichten, ihn auf die Waage zu legen und zu quantifizieren. Eine Lärmbelästigung lässt sich schwer messen. Eine messbaaare Lärmbelastung lässt sich andererseits gut in eine behördliche Vorgabe oder politische Forderung verwandeln.

Der Leitfaden Strassenlärm. Vollzughilfe für die Sanierung 2006 vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) führt im Detail vor, wie man beim Vermindern von Lärm nicht nur analysieren, sondern auch handeln kann.

Das Mittel dazu sind sog. Strassenlärmsanierungen (S. 12). Sanierung meint im ursprünglichen Wortsinn ‹Heilungsmassnahme› (lat. sanare = heilen). Im engeren Sinn betreffen Sanierungen hier bestehende Strassenoberflächen, Gebäude etc., die saniert, d.h. in Bezug auf Lärmminderung verbessert werden sollen. Im Ganzen regiert in dieser Schrift ein objektivierendes, quantifizierendes und von der akustischen Wahrnehmung abgelöstes Verständnis von Lärm. So ist 19-mal von Lärmbelastung und 0-mal von Lärmbelästigung die Rede, 30-mal von Schallschutz (und nicht von Lärmschutz) und 19-mal von Schallschutzmassnahmen, (und nicht von Lärmschutzmassnahmen). Als Lärmsanierung wird somit ein technisches Verfahren verstanden, das die Wirkung messbarer Schalleinwirkungen an Gebäuden und Siedlungen mindern soll. Der Fussverkehr auf den Strassen kommt bei diesem Vorgehen leider zu kurz. Bis heute bestehen wohl Schallschutzmassnahmen an Gebäuden und entlang von lärmigen Strassen, aber kaum Lärmschutzbauten, die Zufussgehende schützen. Mit der Wortwahl Strassenlärmsanierung kann man also Zufussgehende im öffentlichen Raum nur schwer erreichen.

Was kann das Wort Lärmbelastung in dieser Hinsicht leisten? Es vergegenständlicht den Lärm als messbare Last und löst ihn so von der schädlichen auditiven Sinneserfahrung ab. Quantifizierende Verfahren sind in der Lärmbekämpfung heute unverzichtbar, weil sie zu verbindlichen Rechts- und Handlungsvorgaben führen können. Sog. Imissionsgrenzwerte sind ein Schlüsselwort dazu. Andererseits bleibt zu bedenken, dass Lärm immer etwas subjektiv Wahrgenommenes bleibt, das nur ungefähr gemessen werden kann. Wie soll man zum Beispiel die Störwirkung von Brems- und Beschleunigungsmanövern bei Kreuzungen (S. 29) messen?

Auch das Wort Lärmschutz ist für die Belange des Fussverkehrs zweischneidig. Einerseits besitzen die Menschen im Frame des Wortes einen festen Platz, denn es sind sie, die geschützt werden sollen. Das Wort Lärmschutz enthält aber auch einen blinden Fleck. Ähnlich wie die Wörter Kälteschutz, Sonnenschutz, Windschutz, Regenschutz, Lawinen- oder Virenschutz legt das Kompositum Lärmschutz nahe, dass wir Lärm als eine Art Naturkraft wahrnehmen. Autolärm ist aber keine Naturkraft. Das Wort Lärmsschutz erschwert die Einsicht, dass Menschen in Fragen des Lärmschutzes drei Rollen einnehmen: Sie sind Lärmopfer, Lärmschützer und Lärmerzeuger zugleich. Wollten wir im Wort Lärmschutz diese Täterrolle des Menschen stärken, müssten wir es ähnlich wie die Wörter Einbruch- oder Betrugsschutz verstehen und dabei erkennen, dass hinter dem Lärm auch Menschen stehen, die ihn erzeugen. Wäre vielleicht Belärmungsschutz eine Lösung? Auffällig ist auch, dass das Wort Lärmer oder Lärmerin nicht sehr geläufig ist. Eher spricht man dann von RuhestörerIn.

Lärmvermeidung und Lärmprävention sind Wörter, die bei der Lärmquelle ansetzen. Auch diese kommen im Sanierungs-Leitfaden nicht vor. Einzig der Einbau von sog. lärmarmen Belägen gelangt unter dem Titel Sanierung in den Blick. Da sich das Wort Sanierung auf Materielles richtet, ist dies verständlich. Wenig Raum erhält entsprechend die Lärmminderung durch Temporeduktion. Sie wird unter dem Titel verkehrsberuhigende Massnahmen im erwähnten Leitfaden Strassenlärm auf knappen neun Zeilen (S. 37) behandelt. Dies zeigt: Wer Lärmminderung über den Ausdruck Sanierung angeht, wird eine schlichte Maßnahme wie eine Temporeduktion leicht übersehen.

Die Frage nach den Lärmbelästigungen betrifft spezifisch den Aufenthalt der Menschen im öffentlichen Raum. Dies bringt auch einen sozialen Aspekt ins Spiel. Das Handbuch zur Wegnetzplanung hält fest, dass «etwa 40% aller Fussgänger/innen zu zweit oder in Gruppen unterwegs sind; in Ausgehmeilen und Einkaufsstrassen liegt dieser Anteil bei über 50 %» (S. 10). Anders als Autofahrende, die in ihren Stahlbehältern nach aussen abgeschirmt sind, wollen Zufussgehende häufig untereinander kommunizieren, um sich wohlzufühlen. In diesem Bedürfnis finden wir die oben erwähnten Begegnungsmöglichkeiten präzisiert. Zum Kommunizieren bräuchten Zufussgehende mehr Ruhe im öffentlichen Raum, und diese Ruhe wird ihnen entlang vieler Strassen verwehrt. Man stelle sich vor, einem Bedürfnis, das von 40-50% der Motorisierten geäussert wird, würde nicht Rechnung getragen. Der Einbau von Schallschutzfenstern und Lärmschutzwänden hilft den Menschen auf den Trottoirs leider kaum. Im öffentlichen Raum besteht offenkundig ein Lärmschutzmangel. Zu diesem Schluss gelangt auch Pascal Regli vom Verein Fussverkehr. Er stellt fest, dass die «Fussgänger/innen von Lärmschutzmassnahmen bisher «zu wenig profitieren» (Regli 2019, 2). Wer sich am Rand einer sog. verkehrsorientierten Strasse mit einer anderen Menschen unterhalten will, wird dabei ständig von vorbeifahrenden Autos gestört – oder gar zum Schweigen gebracht und schliesslich verdrängt (Abbildung 5).

Abbildung 5: Wo sollte hier die Lärmschutzwand stehen? Das Trottoir schafft wohl eine Raum für die Zufussgehenden, setzt diesen aber dem Motorenlärm aus und hindert sie so, ungestört zu kommunizieren. Schwarzwaldbrücke Basel, August 2024. (Bild Hugo Caviola)

7. Fazit und Folgerungen für einen gehfreundlichen Sprachgebrauch

Dass heute der Fussverkehr noch zu kurz kommt, hat viele Gründe.

  • Einer liegt darin, dass unsere Kultur Autos und Tempo (noch immer) hoch wertet und Langsamkeit und Ortsbezug entsprechend tief. Schnelles Vorankommen wird mit Effizienz und Zeitgewinn verbunden und erscheint in nahezu allen Lebensbereichen als Wert, die keiner Begründung bedarf (vgl. Rosa 2005, 256ff). Einige verstreute Beobachtungen dazu:

  • Der hohe Rang von Staumeldungen in Radioprogrammen signalisiert, dass der motorisierte Verkehrsfluss (vgl. die Wassermetapher!) ein hochwertiges Kulturgut darstellt.

  • Während Gewässer und Luft heute deutlich sauberer als noch vor dreissig Jahren sind, wird die Verlärmung des öffentlichen Raums vielerorts wie ein Naturgeschehen hingenommen. Autorennen zelebrieren Tempo und Lärm und verbinden beides mit Prestige. Sog. Poser protzen mit ihren Autos und deren Lärm. Bis heute sind elektronische Auspuffklappen, die es ermöglichen, einen Motor beim Fahren zwischen «Comfort» (leise) und «Sport» (laut) zu schalten, erlaubt.[5] https://www.astra.admin.ch/astra/de/home/themen/fahrzeuge-emissionen/laermvorschriften.html

  • Ruhezeitordnungen verbieten in der Schweiz über Mittag und abends ab 20 Uhr in Wohngebieten Rasen zu mähen, während lautstarke Motorfahrzeuge zu denselben Zeiten freie Fahrt geniessen. Der Rasenmähermotor wird offenbar als Lärm wahrgenommen, während (zumindest das Gesetz) den Motorradlärm überhört. Der Wiener Verkehrsforscher Hermann Knoflacher hat diese selektive Taubheit gegenüber dem Verkehrslärm wie folgt erklärt:

    «Städte und Dörfer waren immer durch Kommunikationsmöglichkeiten (...) im öffentlichen Raum geprägt. Aus diesem öffentlichen Raum ist heute eine Maschinenhalle geworden, der nur das Dach fehlt. Alle Strassen, also Flächen, auf denen sich die Verkehrsteilnehmer früher unter gleichen Bedingungen bewegen durften, wurden rücksichtslos in Gehsteige, also Restflächen, die von der alten Straße noch übrig geblieben sind, Lagerplätze für Maschinen, also Parkstreifen und Todeszonen der Fahrbahnen für tödliche Geschwindigkeiten, aufgeteilt» (Knoflacher 2001, 31-32).

Knoflacher schreibt hier aus Fussgängersicht. Städtische Strassen sind für Zufussgehende potenzielle Todeszonen und Maschinenhallen ohne Dach mit seitlichen Lagerplätzen für Maschinen, d.h. Parkplätzen. Unschwer lässt sich in Knoflachers Maschinenhallen das von uns skizzierte ‹Haus des Verkehrs› wiedererkennen (Abbildung 6).

Abbildung 6: städtische Strasse: Maschinenhalle ohne Dach? (Burgweg Basel. Foto: Hugo Caviola)

Diese Folgerungen für den Sprachgebrauch kann man ziehen:

1. Es gilt, sprachliche Darstellungen zu finden, welche die Interessen der Zufussgehenden aus ihrer direkten Betroffenheit heraus erfassen. Verkürzt lassen sich diese Probleme und mögliche Lösungen wie folgt darstellen: 

a) Wird Lärm sinnlich wahrgenommen oder gemessen?

üblich

Lärmbelastung, Schallschutz

Problem

Belastung und Schall machen das sinnliche Wahrgenommene zu etwas Messbaren und lösen es damit vom Menschen ab.

besser

Lärmbelästigung und Lärmschutz

warum

Belästigung und Lärm erfassen das akustische Geschehen als etwas, das von Menschen erlitten wird.

b) Wer verursacht Lärm und wem gehört die Strasse?

üblich

Verkehrslärm, Strassenlärm

Problem

Zufussgehende und Velofahrerinnen machen keinen Lärm. Die Ausdrücke unterstellen, dass das Wort Verkehr nur Autoverkehr umfasst und die Strasse den Autos gehört. 

besser

Motorenlärm, Autolärm

warum

Die eigentlichen Ursachen des Lärms werden genannt. Zufussgehende und Velos lärmen nicht.

c) Wie kann man Motorisierte dafür sensibilisieren, welchen Lärm sie erzeugen?

Neologismen (Wortneubildungen) erschliessen hier neue Sichtweisen und Handlungsmöglichkeiten:

Lärmer und Lärmverschmutzung

Autos und Motorräder als Lärmer zu bezeichnen, kann für die Lärmverschmutzung, die sie erzeugen, sensibilisieren.

Lärmdisplays
Abbildung 5: Lärmdisplay (Blick 29.08.2024)

Seit 2024 kommen an Strassenrändern im Kanton Zürich sog. Lärmdisplays in Gebrauch. Das neue Wort (und die damit verbundene neue Sache) zielen darauf ab, Lärm sichtbar zu machen. Lärmdisplays funktionieren ähnlich wie die Tafeln, die Autofahrern ihre Geschwindigkeit anzeigen. Sie spiegeln ihnen in einem Emoji-Bild die Wirkung des Lärms zu, den sie erzeugen. 

Lärmblitzer

Die Lärmliga Schweiz hat im August 2024 beim National- und Ständerat eine Petition eingereicht, welche die rechtlichen Grundlagen für den Einsatz von sog. Lärmblitzern schaffen sollen. Lärmblitzer erkennen zu laute Fahrzeuge und erlauben der Polizei, deren Fahrer:innen zu büssen.[6] https://laermliga.ch/petition-larmblitzer-eingereicht/ (28.08.2024)

Sowohl Lärmdisplay als auch Lärmblitzer sind nach dem Vorbild von Tempowärtern gebildet. Tempodisplays sind Geschwindigkeitsanzeigetafeln. Das Wort Tempoblitzen bezeichnet die polizeiliche Massnahme gegen Tempoüberschreitungen. Beide Massnahmen reagieren auf den Umstand, dass Autofahrende oft nicht wissen – oder nicht zur Kenntnis nehmen wollen – wie schnell sie fahren und welchen Lärm sie erzeugen. Sinnvoll wäre auch – analog zu den bestehenden Tachometern – Sonometer (Lärmmesser) in die Autos einzubauen. Diese würden anzeigen, welchen Lärm das Auto nach aussen erzeugt. Erlaubte Lärm-Höchstwerte könnten entsprechend am Strassenrand angezeigt werden.

Lärmmessungen können helfen, politische Forderungen, z.B. Grenzwerte, durchzusetzen. Der Ausdruck Belastung rückt das Wahrgenommene aber von Menschen weg. Wörter wie Lärmbelästigung und Lärmverträglichkeit erfassen Lärm dagegen als erlebtes und erlittenes Phänomen. Formulierungen wie lästiger Lärm und lärmige Strassen (Bulletin Fussverkehr 4/19) (statt lärmbelastete Strassen) gründen in der Betroffenheit der Menschen und können Argumente für eine politische Argumentation bereichern. Will man diese Betroffenheit ausdrücken, ist es ratsam, die Perspektive der vom Lärm Betroffenen sprachlich möglichst genau zu fassen: Einige Beispiele:

Ein Wort wie Lärmstrasse kann das Bewusstsein für diese Wahrnehmung lauter Strassen stärken. (Dasselbe gilt für das bisher fehlende Wort Stinkstrasse für die geruchliche Seite des motorisierten Verkehrs aus Fussgängersicht. Man könnte auch von Lärmattacken und -angriffen sprechen, etwa wenn Motorisierte mit heulenden Motoren beschleunigen.

Der Verkehrsforscher Hermann Knoflacher schreibt von verlärmten Gegenden und verparkten öffentlichen Räumen und bringt dabei zum Ausdruck, wie Autos Menschen im öffentlichen Raum bedrängen und verdrängen (Knoflacher 2001, 55 und 126). Die Vorsilbe ver- bringt die Abwertung von Räumen durch Motorenlärm zum Ausdruck.

Auch die Vorsilbe be- wie im Verb belärmen drückt eine neue Perspektive aus. So schreibt der Umwelttechniker Kirk Ingold von Wohnungen, die belärmt werden, «auch vormals ruhige Gebiete werden neu vom Verkehr belärmt (Ingold 2006, 16). Die Vorsilbe be- drückt ähnlich wie in den Verben be-schmutzen, be-wässern, be-handeln ein menschliches Einwirken auf etwas oder jemanden aus. Das Verb belärmen bringt damit direkt zum Ausdruck, dass Lärm auf Menschen einwirkt und sie betrifft. Was den Schutz vor menschengemachten Lärm betrifft, könnte man folglich von Belärmungsschutz sprechen.

Analog zu den bekannten Komposita Luft- und Wasserverschmutzung findet man heute auch die Metapher der Lärmverschmutzung.[7] https://www.handwerk-macht-schule.de/faecherwelt/arbeit-und-wirtschaft/artikel/fa/laermverschmutzung-im-alltag-auswirkungen-praevention-massnahmen-und-die-hoerakustik/ (29.08.2024) Mit diesem neuen Wort wird eine starke sinnliche Erfahrung aus der Welt des Materiellen (verschmutzter Teppich, verschmutzte Schuhe) metaphorisch in die Welt der Akustik übertragen, ähnlich wie im Ausdruck Lichtverschmutzung ins Visuelle. «Obwohl Lärm unsichtbar ist, gehört Lärm zu den bedeutendsten Umweltverschmutzungen unserer Zeit», lesen wir auf der Plattform von Cerle Bruit, laerm.ch.

Wichtig wäre auch, Ruhe als wertvolles Gut stärker ins Bewusstsein aller zu rufen und sie einzufordern. Wenn es gilt, die Menschen vor Lärm zu schützen, gilt es auch, Ruhe zu schützen und gezielt von Ruheschutz zu sprechen (Ingold 2006, z.B. 4, 9, 26). Die Plattform lärm.ch führte 2020 eine Kampagne mit dem eindringlichen Slogan laut ist out durch. 

Lärmschutzwände sind bisher stark auf den Schutz von Wohnungen ausgerichtet. Untersuchungen zeigen, dass Menschen beim Gehen gern miteinander kommunizieren. Es ist deshalb zu prüfen, wo man im öffentlichen Raum Lärmschutzwände so platziert, dass Zufussgehende vor Motorenlärm geschützt werden (vgl. Abbildung 3).

2. Ortsbezug und Soziales

Zonen, Strassen und Verkehr

üblich

Fussgängerzone, Begegnungszone, Tempo-30-Zone, autofreie Zone

Problem

Zonen dieser Art sind Entschleunigungsinseln im Reich der Autos. Dem Auto gehört das gesamte umgebende ‹Meer›. Die genannten Zonen-Wörter bestärken indirekt den Anspruch der Autos auf den Strassenraum.

besser

Fussgängerstrasse, Begegnungsstrasse, Tempo-30-Strasse, Auto-Zone

warum

Die Strasse wird als Raum markiert, der allen gehört und nicht hauptsächlich den Autos. Man könnte den Spiess umdrehen und verkehrsorientierte Strassen samt den Autobahnen als Auto-Zonen bezeichnen. Damit würde klar, dass man den Autos in einem begrenzten Bereich, aber nicht überall, Bewegungsfreiheit gewährt.

Wertvolle Sichtweisen für die Gestaltung öffentlicher Räume eröffnen auch die Wörter Aufenthaltsqualität und Begegnungsmöglichkeit. In dieselbe Reihe gehören die fussgängerfreundliche Stadt und die Fussgängerförderung (alle Bulletin Fussverkehr 2/20).

3. Es gilt, die Zufussgehend en aus der Rolle der minderen (weil nicht motorisierten und langsamen) Verkehrsteilnehmer:innen zu befreien.

Fussmobilität

Es ist von Fall zu Fall zu prüfen, ob man von Fussmobilität, statt von Fussverkehr sprechen will, da das Nomen Mobilität die Autonomie des Menschen in den Mittelpunkt stellt und ihn nicht zum Teil eines anonymen Geschehens, eines Verkehrsstroms oder -aufkommens, macht.

Und ein Detail dazu: Zufussgehende sollten nicht als Querende, sondern als Kreuzende dargestellt werden, da sie sonst als die ‹Querulanten› im Verkehrsgeschehen erscheinen. Das heisst, statt zu sagen, Fussgänger überqueren, ist besser zu sagen: Fussgängerinnen kreuzen die Strasse. Umgekehrt liesse sich davon sprechen, dass Autos Fussgängerstreifen oder Trottoirs überqueren.

Literaturverzeichnis

Black, Max (1954). Die Metapher. In: Anselm Haverkamp (Hrsg.) 1983. Theorie der Metapher. Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt. 55 -79.

Bundesamt für Strassen (2015). Fusswegnetzplanung. Handbuch.

Caviola, Hugo und Andrea Sedlaczek (2020). Grenzenlose Mobilität und fließender Verkehr. Ein kritische Sprachreflexion, GAIA 3: 161-169.

Egan, Robert and Caulfiel, Brian (2024). There’s no such thing as cycle traffic: A critical discourse analysis of public opposition to pro-cycle planning. Journal of Cycling and Micromobility Research (2)1-12.

Ingold, Kirk (2006). Ruhe bitte! Wie kann der „Schutz von Ruhe“ raumplanerisch umgesetzt werden? ETH Masterarbeit.

Knoflacher, Hermann (2001). Stehzeuge. Der Stau ist kein Verkehrsproblem. Wien, Köln, Weimar: Böhlau.

Künzler P., Dietiker J., Steiner R. (2011). Nachhaltige Gestaltung von Verkehrsräumen im Siedlungsbereich. Grundlagen für Planung, Bau und Reparatur von Verkehrsräumen. Umwelt-Wissen Nr. 1110. Bundesamt für Umwelt, Bern: 56 S.

Norton, Peter N. (2008). Fighting Traffic. The Dawn of the Motor Age in the American City. Cambridge, Mass. and London: MIT Press.

Regli, Pascal (2019). Therapien gegen zu viel Strassenlärm In: Bulletin Fussverkehr 4: 2-3.

Rosa, Hartmut (2005). Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne. Frankfurt a/M: Suhrkamp.

Schguanin G., Ziegler T. (2006). Leitfaden Strassenlärm. Vollzugshilfe für die Sanierung. Stand: Dezember 2006. Umwelt-Vollzug Nr. 0637. Bundesamt für Umwelt, Bern. 46 S.

Ziem, Alexander (2008). Frames und sprachliches Wissen. Kognitive Aspekte der semantischen Kompetenz. Berlin, New York: de Gruyter.