Unfallsprache – Sprachunfall

von Hugo Caviola, Martin Reisigl, Andrea Sedlaczek, Felix Schindler, Dirk von Schneidemesser, Michael Wirz, Immo Janssen
— 2025 —

Jedes Jahr werden im Strassenverkehr in Deutschland, Österreich und der Schweiz rund 4 500 Menschen getötet und 67 000 schwer verletzt. Würden bei einem einzelnen Unfall so viele Menschen in den Tod gerissen und würde bei einem einzelnen Unfall ein vergleichbarer Sachschaden angerichtet werden, so würde dies weltweite Bestürzung auslösen. Weil sich diese Tragödien aber räumlich und zeitlich verteilen, («spatio-temporally diffused», Brommelstroet 2020, 1), erhalten sie kaum Beachtung.

Seit Beginn der 1970er Jahre sind die Unfallzahlen in deutschsprachigen Ländern beträchtlich zurückgegangen. Sicherheitsmassnahmen wie die Gurtpflicht und Tempo- sowie Blutalkohol-Limiten haben ihre Wirkung getan (vgl. dazu die Zahlen im Anhang). Seit zirka zehn Jahren stagnieren die Unfallzahlen aber auf hohem Niveau.

Die Analysen des Projektes Sprachkompass, denen diese Empfehlungen zugrunde liegen, und viele internationale Studien legen nahe, dass diese Stagnation der Unfallzahlen auch eine Folge des Sprachgebrauchs ist. Die Polizei und die Medien beschreiben Unfälle im Bestreben nach einer neutralen Sprache ohne Vorverurteilungen, häufig mit unpersönlichen Formulierungen wie «Es kam zu einem Unfall» – und so wird das Ereignis als Vorgang ohne Handelnde und ohne Ursache dargestellt.

Studien konnten mehrere sprachliche Merkmale identifizieren, welche eine Vorverurteilung der Opfer und eine Entlastung motorisierter Unfallbeteiligter durch die Leser:innen begünstigen. Unfallmeldungen berichten oft knapp und formelhaft über die Einzelfälle, die für sich genommen kaum auf öffentliches Interesse stossen – aber zumeist auch nicht als Ereignis in einem grösseren Zusammenhang verstanden werden. (te Brömmelstroet, M. 2020; Kelcie R., T. Goddard, C. Thigpen, R. Davis. 2022; Magusin, H., 2017. L. Laker 2020)

Dies hat zur Folge, dass das Unfallgeschehen als etwas Schicksalhaftes erscheint, als Unheil, das über die Menschen kommt. Man kann die Unfallbeschreibungen daher als fatalisierend (von lat. fatum in der Bedeutung von «Schicksal», «Verhängnis») charakterisieren. Die meist knappe und formelhafte Berichterstattung über isolierte Einzelfälle verstellt den Blick auf den Umstand, dass Verkehrsunfälle systemischen Bedingungen unterworfen sind, menschengemacht sind und damit in ihrer Wirkung und Häufigkeit verändert werden können. Eine Berichterstattung dieser Art kann schwer eine präventive Wirkung entfalten.

Im Folgenden stellen wir fünf Gruppen sprachlicher Merkmale vor, die in Unfallberichten eine Wirkung des Schicksalhaften erzeugen können. Wir umreissen aus sprachwissenschaftlicher Sicht das Problem und schlagen alternative Formulierungen vor.

  1. Kollisionen nicht als Schicksal, sondern als menschengemacht darstellen

  2. Alle beteiligten Personen und deren Handlungen benennen

  3. Die Perspektiven der Beteiligten als solche erkennbar machen

  4. Nichtwissen, Ermittlungsstand und Sicherheitsrelevantes beachten

  5. Einzelereignisse vergleichen und in einen grösseren Zusammenhang stellen

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1. Kollisionen nicht als Schicksal, sondern als menschengemacht darstellen

a. Kollision, Zusammenstoss oder Crash statt Unfall:

Dass Verkehrsunfälle häufig als etwas Schicksalhaftes erscheinen, ergibt sich bereits aus dem Wort Unfall selbst, aber auch aus seinem Zusammenspiel mit Vorgangsverben wie geschehen, kommen zu, sich ereignen.

Analyse des Problems

Das Nomen stammt vom spätmittelalterlichen unval ab, das Unglück, Missgeschick, also etwas Schicksalhaftes, bedeutete. Im Wort steckt auch das Verb fallen, das Konnotationen des Fallens trägt, eines Vorgangs, bei dem die Schwerkraft, eine elementare Kraft der Natur, wirkt. Menschliches Zutun wird in den Hintergrund gedrängt, die Verantwortung der Beteiligten verdeckt. Während sich Sport- und Haushaltsunfälle tatsächlich ohne nennenswerte Pflichtverletzungen ereignen können, liegen bei Verkehrsunfällen laut Unfallstatistik oft Missachtungen von Verkehrsregeln vor.

Alternative Nomen

Kollision: Das lateinische Nomen collīsio stammt vom Verb collīdere «zusammenschlagen, -stossen» (vgl. lat. col- «zusammen» und laedere «verletzen, «beschädigen», siehe lädieren). Davon ist das Verb kollidieren, mit etwas, zusammenstossen, zusammenprallen, abgeleitet (vgl. https://www.dwds.de/wb/Kollision). Anders als das Wort Unfall, welches das ganze Unfallgeschehen umfasst, bezieht sich Kollision nur auf die Phase des Zusammenstosses und betont die materielle Dimension des Vorfalls. Der Ausdruck ist daher konkreter als das sehr allgemeine Wort Unfall. Kollision trägt auch weniger Konnotationen eines Naturgeschehens. Es fehlt das Bedeutungsmerkmal des schwerkraftbedingten Fallens. Kollision kommt aber wie Unfall häufig in Funktionsgefügen mit den Vorgangsverben kommen zu, sich ereignen, passieren oder geschehen vor. Diese Verben erschweren es  grammatikalisch, Ursachen des Geschehens einzubeziehen. Fragen nach der Verantwortung für die Kollision werden durch solche Verben also unwahrscheinlicher.

Anders als Unfall bezieht sich Kollision meist auf einen Zusammenstoss mit anderen Menschen bzw. einem anderen Fahrzeug. Das Wort legt also die Frage nach der Verantwortung von A oder B nahe. Bei Selbstunfällen ist in der Regel die verursachende Person auch die geschädigte. 

Kollision im Bedeutungswandel

Laut Lexikon bezieht sich eine Kollision auf zwei sich bewegende Objekte (Zwei Frachter kollidieren). In der deutschsprachigen Berichterstattung zu Verkehrsunfällen finden wir heute aber auch zahlreiche Beispiele, die das Wort Kollision für das Zusammenprallen eines bewegten und eines unbewegten Objektes oder eines Fahrzeugs und eines Menschen verwenden. Offenbar ist hier ein Sprachwandel im Gang. Einige Beispiele dazu aus unserem Korpus: 

  1. Auf der Kreuzung der Andreas-Hofer-Strasse mit der Franz-Fischer-Strasse kam es am Donnerstag gegen 10.45 Uhr zur Kollision eines Pkw mit einem Fussgänger (30), der erheblich verletzt wurde. (Kronen Zeitung, 24.5.23) 

  2. In Saalfelden kollidierte eine Autofahrerin (60) mit einer Fussgängerin (69). Die Passantin wurde verletzt. (Kronen Zeitung, 29.6.19)

  3. Frau bei Kollision mit Tram schwer verletzt (im Titel von Blick, 21.3.23)

  4. A95: Kollision mit einem Kunststoffrohr (im Titel von Münchner Merkur, 11.4.23)

Crash: Neben Verkehrsunfall bedeutet Crash auch Kurseinbruch an der Börse, Flugzeugabsturz/ Bruchlandung, Computerabsturz und das Gefühl bei der Einnahme von Kokain (vgl. https://www.dwds.de/wb/Crash, 20.04.24). 

Das Fremdwort aus dem Englischen hat lautmalerischen Ursprung. Es lässt, ähnlich wie etwa die deutschen Verben krachen, piepsen und knarren, eine lautliche Nachahmung des Geräusches beim Auf- oder Zusammenprall hören. In seiner englischen Schreibung bleibt es noch ganz Fremdwort und wird nicht etwa zu Kräsch. Doch die Verbalbildung crashen ist bereits im Duden und im Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache (DWDS) verzeichnet. (vgl. https://www.dwds.de/wb/crashen, 24.05.24) Das Nomen ist als maskulin markiert, man spricht also von einem Crash

Hier einige Beispiele aus der Berichterstattung:

  1. verheerender Crash (Frankfurter Rundschau, 4.4.23) 

  2. E-Bike-Fahrer stirbt bei Crash mit E-Auto (Blick, 10.4.24)

  3. Hummel im Auto - Crash (im Titel von BZ, 5.4.23) 

  4. Die ersten Ermittlungen der Polizei vor Ort haben ergeben, dass der Unfallfahrer die Spur wechseln wollte, als es zum Crash kam. (Blick, 29.06.19). 

  5. Crash und Verfolgungsfahrt wie im Krimi (im Titel von Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 23.6.23)

  6. Heftiger Crash auf der Ruhrallee: 86-Jähriger hatte guten Schutzengel (im Titel von Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 8.4.23)

  7. Tödlicher Feuer-Crash in Thüringen! (Zwischentitel zu einem Autounfall mit Feuer: BZ, 3.4.23)

  8. Falsch gewendet, Crash mit der U76 (im Titel von Express, 6.4.23)

Viele dieser Belege stammen aus Boulevardzeitungen, die in ihrem Stil Vorfälle gern erlebnishaft darstellen. Verbindungen mit Adjektiven wie ein verheerender Crash, ein heftiger Crash zeigen, wie das Fremdwort grammatisch eingedeutscht werden kann.

Zusammenstoss, Zusammenprall: Zusammenstoss fokussiert wie Crash auf die Phase der Kollision, ist aber, ähnlich wie Zusammenprall, konkreter als Kollision. Mit dem verbalen Frame A stösst mit B zusammen bringt das Verb zusammenstossen zwei grammatische Leerstellen in den Blick, die gefüllt werden müssen: 1. die Person bzw. das Fahrzeug in der Subjektposition und 2. eine Person, mit der etwas geschieht. Zusammenstossen ist ein Vorgangsverb, das nicht geeignet ist, Handelnde und damit individuelle Verantwortung anzuzeigen. Dennoch: Stossen ist ein Handlungsverb, das den Blick auf eine aktive materielle Tätigkeit (er oder sie stösst) zulässt. Sowohl das Verb zusammenstossen als auch das Nomen Zusammenstoss lassen nicht unmittelbar an einen Naturvorgang denken, können aber nicht verhindern, dass das Geschehen als schicksalhaft erscheint.

Zusammenprallen, krachen, auch ineinanderkrachen, in ein Auto krachen sind mit Geschwindigkeit und wuchtiger Materialität assoziiert. Sie stellen den Vorgang als wahrnehmbare Gewalteinwirkung dar. Beispiel: Ein junger Fahrradfahrer ist am Donnerstag beim Zusammenstoss mit einem Auto schwer verletzt worden. (Frankfurter Rundschau, 1.4.23)

b. Bei bedeutungsverwandten Wörtern sind Verben präziser als Nomen.

Nomen wie Unfall, Crash und Zusammenstoss verwandeln ein dynamisches Geschehen in etwas, das wie eine Sache behandelt wird und von den handelnden Menschen abgelöst und schicksalhaft erscheinen kann. Häufig finden wir diese Nomen verbunden mit abstrakten Verben wie sich ereignen, geschehen, passieren, und kommen zu. Sie wirken fatalisierend, das heisst, sie erwecken den Eindruck, dass das Geschehen von menschlichen Gründen abgelöst und schicksalhaft sei.

Analyse des Problems

sich ereignen: Etwas, das sich ereignet, bringt sich wegen des reflexiven Pronomens sich gewissermassen selbst hervor: Ursachen und zum «Ereignis» beitragende Menschen werden in den Hintergrund gedrängt.


geschehen/passieren: Ein Unfall geschieht, ein Unfall passiert → geschehen und passieren sind intransitive Verben, ähnlich wie fallen, stürzen, stolpern. Beteiligte Menschen kommen nicht in den Blick, etwa im Unterschied zum transitiven Verb verursachen. Bsp:Ich verursache (was?) → einen Unfall[1] Transitive Verben sind Handlungsverben und verlangen ein Akkusativobjekt, das man mit den Fragewörtern wen? oder was? ermitteln kann. Beispiel: anfahren. Frage: Wen fahre ich an? Antwort: einen Radfahrer. Das Akkusativobjekt ist einen Radfahrer. Sätze mit transitiven Verben machen es möglich, das menschliche Wirken auf die Welt gedanklich zu fassen..

Es kommt zu einem Unfall. Ein Vorgang mit einem Ursache-Wirkungs-Zusammenhang wird angedeutet, wobei der Fokus auf der Wirkung liegt. Das inhaltlich leere Pronomen «es» lässt die Ursache(n) unerwähnt und verschweigt, wer als Akteur:in involviert ist. Der Unfall fällt gleichsam als Resultat vom Himmel.

Der Unfall fordert ein Todesopfer. Fordern ist in seiner ursprünglichen Wortbedeutung ein Verb des Sagens.Der Unfall wird personalisiert, als wäre er eine Person, die spricht und etwas verlangt. Eine Kollision ist aber ein durch Handlungen hervorgebrachtes Geschehen, das von Menschen verantwortet wird.

Alternativen

Will man das Menschengemachte eines Vorfalls hervorheben, ist es ratsam, von Nomen wie Unfall, Zusammenstoss und Crash abzusehen und die Verben zu wählen, aus denen die Substantive abgeleitet sind.

Also besser: kollidieren, zusammenstossen, zusammenprallen

Statt: Am Samstag kam es zu einer Kollision. Besser: Am Samstag kollidierten A und B.

Statt: Gestern ereignete sich ein Zusammenstoss. Besser: Gestern stiessen A und B zusammen.

Zu Unfall existiert nur das Verb verunfallen im Sinne von einen Unfall erleiden. Verunfallen macht den handelnden Menschen sichtbar (Peter verunfallte), kann aber keinen Bezug zu anderen Menschen herstellen.

2. Alle beteiligten Personen und deren Handlungen benennen

a. Personen als Handelnde nennen, nicht Fahrzeuge allein nennen:

Häufig ist zu lesen: Lastwagen erfasst Velofahrerin. 

Analyse des Problems

Im Beispielsatz besteht ein Problem der Asymmetrie: Der Lastwagenfahrer bildet mit dem Fahrzeug eine Einheit, der Fahrer ist bloss mitgemeint, verschwindet hinter seinem Fahrzeug. Die Velofahrerin wird als Person genannt. Der Lastwagenfahrer wird anonymisiert, seine potentielle Mitverantwortung ist kaum fassbar.

Alternativen

Kurz nach 9 Uhr fuhr ein Lastwagenfahrer auf der Dorfstrasse in Richtung Musterlingen. Auf der Kreuzung im Dorfkern kollidierte er mit einem von rechts kommenden Radfahrer. Auch in der Darstellung der Kollision können beide Akteure genannt werden. Hier wählt man sinnvollerweise Verben, die eine menschliche Tätigkeit mit einem Fahrzeug implizieren. Beispiele: kollidieren, überrollen, anfahren, umfahren, mitreissen.

Empfehlung: Auf der Ebene des Gesamttextes sollten alle Beteiligten (Opfer und beteiligte Akteur:innen) wenigstens einmal als Personen dargestellt werden. 

Formulierungen, die das Fahrzeug als selbständig handelnde Maschine darstellen, sind zu vermeiden. 

Statt: Das Auto war auf der Thurgauerstrasse stadtauswärts unterwegs.

Besser: Die Autofahrerin war auf der Thurgauerstrasse stadtauswärts unterwegs.

In Verbindung mit der Passivformulierung und dem Nennen bzw. Verdecken von Personen sind vier Stufen möglich, in denen Verantwortung in unterschiedlichem Mass zugeschrieben werden kann.

  1. Der Fussgänger wurde angefahren.

Wer den Fussgänger womit anfährt, wird ausgeblendet. 

Konsequenz: Verantwortung wird beim zuerst Genannten gesucht.

  1. Der Fussgänger wurde vom Auto angefahren.

Opfer und Fahrzeug der lenkenden Person sind genannt. 

Die fahrende Person ist mit dem Fahrzeug mitgedacht, aber nicht genannt. 

Konsequenz: Verantwortung wird zuerst beim Opfer gesucht. 

  1. Das Auto fuhr den Fussgänger an.

Fahrzeug und Opfer sind genannt. Das Fahrzeug ist zuerst genannt und erscheint aktiv.
Konsequenz: Verantwortung bzw. Ursache werden zuerst beim Fahrzeug gesucht.

  1. Die Autofahrerin fuhr (mit ihrem Fahrzeug) den Fussgänger an. 

Opfer und Akteurin sind als Personen genannt. Die Autofahrerin ist zuerst genannt.
Konsequenz: Die Verantwortung wird zuerst bei ihr gesucht. 

b. Aktive Formulierungen passiven vorziehen und alle Handelnden nennen

Häufig heisst es: Fussgänger wurde angefahren. 

Analyse des Problems

Die Person bzw. die Instanz, die am Vorfall beteiligt war, wird durch die passive Verbform in den Hintergrund gestellt. Wir sehen nur das Opfer. Dies ist sinnvoll bei einem Selbst- bzw. Alleinunfall. Wo mehrere Menschen involviert sind, behandelt der Opferfokus die Beteiligten ungleich.

Alternativen

  • Fussgänger wurde von einem Lastwagenfahrer angefahren. In diesem Passivsatz wird der Akteur genannt, und zwar mithilfe der Wortgruppe, die durch die Präposition durch eingeleitet ist. 

  • Lastwagenfahrer fuhr einen Fussgänger an. In der aktiven Formulierung wird der Lastwagenfahrer zuerst genannt. Sein Handeln ist stärker hervorgehoben als in Satz 1.

In diesen Formulierungen werden sowohl der Handelnde als auch der Betroffene genannt.

c. Reflexive Verben vermeiden, die Ursachen und Verursachende zum Verschwinden bringen

Häufig heisst es: Velofahrer verletzte sich bei der Kollision. /  Er zog sich dabei Verletzungen zu. 

Analyse des Problems

Die reflexiven Formulierungen er verletzte sich und er zog sich Verletzungen zu suggerieren, dass die handelnde Person aktiv daran arbeitet, sich selbst zu verletzen. Die Ursache der Verletzung, die Kollision mit einem Fahrzeug, wird aus dem Blickfeld gerückt. 

Alternativen

Der Velofahrer wurde bei der Kollision / durch den / vom Motorradfahrer verletzt. 

Durch die Wucht des Aufpralls wurde er verletzt.
Der Autofahrer … fuhr ihn an, ….erfasste ihn, ….schleuderte ihn zu Boden
(anfahren, erfassen sind Handlungsverben; geschehen, passieren, sich ereignen sind Vorgangsverben). 

Die aktive Verbform und Handlungsverben verstärken den Eindruck, dass die Handelnden Verantwortung tragen. 

d. Handlungsverben den Vorgangsverben vorziehen

Vorgangsverben wie geraten, sterben / versterben und überleben bezeichnen Prozesse, die sich am Menschen unbeabsichtigt vollziehen oder an ihm vor sich gehen oder ihm widerfahren. Sie bezeichnen kein absichtsvolles Tun. Sie rücken die Handelnden in den Hintergrund bzw. tilgen sie ganz und drängen damit auch Verantwortung aus dem Blickfeld

Analyse des Problems 

geraten: Die Velofahrerin geriet unter den Lastwagen. Das Auto geriet auf die Gegenfahrbahn.

Das Verb geraten drückt in vielen Fällen Kontrollverlust und etwas Unbeeinflussbares oder Schicksalhaftes aus. Beispiele ausserhalb des Verkehrs: auf die schiefe Bahn geraten, in Vergessenheit geraten. Man kann auch unter eine Lawine oder in ein Gewitter geraten. Wenn Menschen unter einen Lastwagen geraten, wird suggeriert, dass sie einer Macht ausgeliefert sind, die schicksalhaft über sie kommt. Der Blick auf das Menschengemachte dieses Vorfalls wird erschwert. 

sterben/versterben: Das Unfallopfer starb/verstarb auf der Unfallstelle. 

Sterben bedeutet aufhören zu leben. Es fehlt ein Zusammenhang zur Kollision. Der Vorgang des Sterbens erfordert keine äussere Ursache. 

Handlungsverben bezeichnen absichtsvolle Handlungen eines belebten Subjekts, die typischerweise zielgerichtet sind. Am Zusammenhang von Verb und Subjekt zeigt sich, ob die Absicht stärker oder schwächer ausgeprägt ist. 

Beispiel: fahren

Am Morgen fuhr ich von A nach B. (starke Absicht) In der langgezogenen Kurve verlor ich die Kontrolle über das Fahrzeug und fuhr über die Mittellinie. (keine Absicht). 

Je schwächer die Intentionalität, desto eher werden Verben, die sowohl Handlungsverben als auch Vorgangsverben sein können, zu Vorgangsverben. Will man die willentliche Eigentätigkeit eines Menschen betonen, so kann dies durch die Wahl eines Handlungsverbs erreicht werden. Diese Verben eignen sich besonders, um den Eindruck des Schicksalshaften und Unvermeidlichen eines Vorgangs abzuschwächen, die Verantwortung der Handelnden in den Blick zu rücken. 

Zu diesen Verben gehören:

  • Verlauf der Bewegung: rennen, eilen, kriechen, flanieren, spazieren, fahren, abbiegen, einbiegen, einfahren, ausfahren, verfolgen, überholen, rasen, auf jemanden zufahren, heranfahren, ausweichen, sich einreihen, sich einordnen/einspuren, die Strasse überqueren, kreuzen, passieren 

  • physische Gewalteinwirkung: anfahren, überfahren, mitschleifen, verletzen, zu Fall bringen, umstossen, umwerfen, umreissen, rammen, auffahren, touchieren, einklemmen, (ein)quetschen, mitreissen; beschönigend: mitnehmen, erfassen

  • Fahrzeug wird zum Stehen gebracht: halten, anhalten, stoppen, stehen bleiben, parken, einparken 

Alternativen

  • Für die Kollisionsphase: Man kann Verben wählen, die eine menschliche Tätigkeit mit einem Fahrzeug implizieren: Beispiele: überrollen, anfahren, umfahren, mitreissen.

  • Statt sterben, versterben können die Verben töten oder wurde getötet verwendet werden. Die Formulierung macht deutlich, dass eine äussere Verursachung vorliegt. Man muss von Fall zu Fall abwägen, ob die Handlung als willentlich erscheinen kann oder nicht. 

  • Statt Er verstarb noch auf der Unfallstelle. Besser: Er wurde getötet. Oder schwächer: Er erlag seinen Verletzungen noch auf der Unfallstelle. In den beiden Sätzen sind die kausale Zusammenhänge zumindest angedeutet.

3. Die Perspektiven der Beteiligten als solche erkennbar machen

Häufig lesen wir Formulierungen wie die folgende: 

Kurz vor 17.00 Uhr am (...) beabsichtigte ein 32-jähriger Mann mit seinem Auto in Richtung Nordstrasse zu fahren. Dabei übersah er einen abwärts fahrenden Velofahrer (29-jährig), worauf es zur Frontalkollision zwischen den beiden Fahrzeugen kam.

Analyse des Problems

Die Berichterstattung nähert sich der Perspektive des Autofahrers an und übernimmt diese als objektive Sicht. Wir erfahren aus dem Text, was der Autofahrer nach Interpretation der Verfasser:innen vermeintlich beabsichtigte. Der Hinweis auf das Übersehen wirkt entschuldigend. Denn wir übersehen häufig Dinge, und wenn Geschwindigkeit im Spiel ist, noch eher. Dabei steht es im genannten Beispiel in der Verantwortung des Fahrers, seine Geschwindigkeit genau so zu wählen, wie es die Kontrolle über die Situation erlaubt. Die Perspektive des Velofahrers wird überhaupt nicht wiedergegeben. Was beabsichtigte er? Übersah er vielleicht auch etwas? Kommt er im Polizeibericht vielleicht nicht vor, weil er aufgrund seiner starken Verletzungen nicht befragt werden konnte? Die perspektivische Darstellung erwächst auch aus dem Bedürfnis, chronologisch zu erzählen. A war von B nach Z unterwegs, als dies und das geschah. 

Ähnlich einseitig sind aufgrund der Perspektivenübernahme Formulierungen wie:

  • Sie konnte nicht rechtzeitig bremsen/konnte trotz Vollbremsung Kollision nicht verhindern.

  • Der Passant trug dunkle Kleidung, das Kind lief unvermittelt auf die Fahrbahn (kann für beteiligte Autolenker:innen entschuldigend wirken).

Alternativen

  • Kurz vor 17 Uhr (...) kollidierte in (Ort) ein Auto frontal mit einem Velofahrer. 

  • Der Radfahrer stiess mit dem Bus zusammen. (In diesem Satz wir tendenziell die Perspektive des Radfahrers begünstigt)

  • Der Bus stiess mit dem Radfahrer zusammen. ( In diesem Satz wird tendenziell die Perspektive des Buschauffeurs oder der Buschauffeurin begünstigt) 

Man kann die Perspektivität kenntlich machen, indem man Aussagen von Beteiligten und Zeug:innen klar als solche deklariert. Beispiel: Der Fahrer konnte laut eigenen Angaben nicht mehr bremsen.

Wichtig ist, einseitige Aussagen von Beteiligten oder Zeug:innen nicht aus Zeitdruck fraglos als richtige bzw. gültige zu übernehmen. Konnte nur eine:r der Beteiligten befragt werden, so sollte diese Aussage nicht in die Berichterstattung einfliessen oder zumindest als subjektive Aussage gekennzeichnet werden. 

«Die einseitige Perspektivenübernahme ergibt sich leicht, wenn Polizist:innen vor Ort mit der nicht verletzten Person sprechen können, nicht aber mit der Person, die ins Spital gebracht wurde. Die Informationen der Befragten werden in einem Journal festgehalten, das als Grundlage für die Medienmitteilung dient. Die Medienleute schreiben die Mitteilungen auf Basis der Informationen im Journal, die nach rechtlichen Vorgaben verfasst werden, durch die bereits merklich abstrahiert wird. Es erfordert also ein grosses Mass an Übersetzungsleistung, um den Journaleintrag in einen lesbaren Text zu verwandeln. Es braucht deshalb ein ausgeprägtes Bewusstsein, um in dieser Situation auf anschauliche Informationen wie konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen zu verzichten oder sie als subjektive Aussagen zu markieren.» (Michael Wirz, Polizei Winterthur)

4. Nichtwissen, Ermittlungsstand und Sicherheitsrelevantes beachten

a. Auf Nichtwissen und den Ermittlungsstand hinweisen

Unfallursachen sind unmittelbar nach dem Ereignis meist nicht ausreichend geklärt. Deshalb finden wir häufig die Formeln:

Die Hintergründe der Kollision sind Gegenstand der Ermittlungen, … aus bisher ungeklärten Gründen …

Analyse des Problems

Derartige Formulierungen lassen vieles als Ursache der Kollision zu, auch Ursachen, auf die die Beteiligten keinen Einfluss hatten. Dies verstärkt den Eindruck des Schicksalhaften. Tatsächlich sind gemäss Verkehrsunfallstatistik des Bundes in der Schweiz 95% aller Verkehrsunfälle mit Personenschaden auf das Verhalten oder den Zustand einer der beteiligten Personen zurückzuführen.

Alternativen

Die Berichterstattung kann das Bewusstsein dafür stärken und sicherheitrelevant werden, wenn sie neben bereits Gesichertem auch vorläufige Ermittlungsergebnisse kommuniziert. 

Das Verkehrssicherheitssystem umfasst unter anderem die folgenden Aspekte: 

  • Menschen (Gurten getragen? Alkohol, überhöhtes Tempo im Spiel?), 

  • Infrastruktur (Rolle der Fussgängerstreifen, -inseln, Velowege, Baustellen, Witterung, Licht, Vorfahrtsregelungen? Raumverhältnisse im Mischverkehr? Gegenverkehr oder Fahrbahnen mit physischer Trennung?), 

  • Fahrzeuge (Haben Gurten, Airbags, Bremssysteme eine Rolle gespielt?), 

  • Geschwindigkeiten (Gab es Geschwindigkeitsbegrenzungen?). 

Besser: Gemäss ersten Ermittlungen deutet das Unfallbild auf eine überhöhte Geschwindigkeit hin.

Besser: Gemäss ersten Ermittlungen hatte die Autofahrerin ihre Geschwindigkeit nicht an die schlechten Sichtverhältnisse angepasst. 

Will man Verkehrsunfälle aus dem Bereich des Schicksalhaften und Unvermeidlichen herausholen, ist es wichtig, neben dem Wissen auch das Nicht-Wissen klar zu benennen. Ein Beispiel aus der Berichterstattung über die Kollision eines Autos mit einem Zug auf einem Bahnübergang lautet: 

«Wie schnell der Unfallzug unterwegs war, ist nicht bekannt. Mehrere Lokomotivführer erklären jedoch gegenüber dieser Zeitung, dass die S25, die zwischen Wädenswil und Zürich Hauptbahnhof nirgends hält, an jener Stelle in der Regel mit 105 Kilometern pro Stunde fahre. Wegen einer leichten Rechtskurve sei der betroffene Bahnübergang für die Lokführer erst spät einsehbar. ‹Trotz sofortiger Notbremsung dürfte der Zug beim Aufprall noch immer 80 km/h draufgehabt haben›, schätzt ein langjähriger Lokführer. Eine Anwohnerin ist ob des Vorfalls nicht überrascht. ‹Ich beobachte die Zulieferung jeden Morgen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis hier mal etwas passiert›, sagt sie.» (Tages Anzeiger, 8.4. 23)

b. Hinweise auf Staus und Sperrungen nur geben, wenn sie pragmatischen Nutzen haben

Sperr- und Staumeldungen sind nur sicherheitsrelevant, solange über eine aktuelle Behinderung berichtet wird, z.B. via Radio und Internet. Im Nachhinein haben sie selten pragmatischen Nutzen und  können den Wert des verursachten menschlichen Leids der Opfer herabstufen.

5. Einzelereignisse vergleichen und in einen grösseren Zusammenhang stellen

Häufig erfolgt die Berichterstattung isolierend: 

Am Donnerstag fuhr ein Autofahrer auf der Talstrasse einen Fussgänger an und verletzte ihn dabei tödlich. Der Autofahrer fuhr in Richtung Stadt, als er den Fussgänger, der sich aus noch unbekannten Gründen auf der Fahrbahn befand, mit seinem Auto erfasste. Die Wucht des Aufpralls schleuderte den Mann zu Boden und verletzte ihn schwer.

Nach medizinischer Erstversorgung an der Unfallstelle wurde der Mann von Rettungskräften ins Krankenhaus gebracht, wo er seinen schweren Verletzungen erlag. Der Autofahrer ist mit einem Schock in eine Klinik gekommen. Nach ersten Erkenntnissen hatte er den Fussgänger übersehen.

Selten wird eine kontextualisierende Berichterstattung gewählt: 

Immer wieder werden Fussgänger in der Talstrasse angefahren. Am Unfallort sind keine Fussgängerüberwege vorhanden. Im gesamten Stadtgebiet sind in diesem Jahr bereits fünf Fussgänger im Strassenverkehr getötet worden. Laut Verkehrsstatistik wurden 2022 in Deutschland im Strassenverkehr 2.788 Menschen getötet, davon 368 Fussgängerinnen und Fussgänger. Ausserdem zeigen mehrere Messungen der Polizei in den Jahren 2022 bis 2023 , dass rund 60% der Autofahrenden an dieser Stelle die Höchstgeschwindigkeit überschreiten. 

Analyse des Problems

Heute werden Verkehrsunfälle in der Regel als isolierte Einzelereignisse dargestellt. Dass eine bestimmte Person zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort verletzt oder getötet wurde, bedeutet nicht, dass etwas Vergleichbares wieder geschehen kann. Durch die isolierende Darstellung wird der Blick auf die Zusammenhänge zwischen dem Einzelfall und systemischen Faktoren, aber auch auf andere, vergleichbare Ereignisse verstellt. Durch ihre formelhafte Darstellung presst die isolierende Unfallmeldung das Einzigartige und Tragische in ein sprachliches Schema, das stark normiert ist, vergleichbar mit den Wetter-, Börsen- oder Sportnachrichten. Obwohl es keine feste Rubrik «Verkehrsunfall» gibt, gehört die Unfallmeldung zum festen Bestand der Medienmitteilungen und weist insofern musterhaften Charakter auf. Zum Routinehaften gehört zum Beispiel, dass Menschen mit ihren Fahrzeugen verschmelzen: der Lastwagen, das Fahrzeug erfasste etc.

Routine und musterhafte Wiederholung wirken in der Summe abstumpfend (Ralph et al. 2022, 2) und sind wenig geeignet, dem Eindruck des Schicksalhaften etwas entgegenzuhalten und Verkehrsunfälle auf ihre systemischen Faktoren hin zu beleuchten. Anders ausgedrückt: Die Vermittlung der gesellschaftlichen Tragödie in kleinen isolierten Häppchen erschwert ein vertieftes Verständnis von dem, was für eine Verbesserung der Strassensicherheit und der Gesundheit der Bevölkerung zu lernen wäre.

Alternativen

Als kontextualisierende Berichterstattung wird eine Darstellung bezeichnet, die den Einzelvorfall in einen breiteren Zusammenhang stellt. Sie erhellt die Faktoren, die zu Kollisionen führen, und unterstützt damit die Öffentlichkeit und die Entscheidungsträger:innen darin, eine Kollision oder eine Serie von Kollisionen besser zu verstehen. Auf der Seite der Medien sind journalistische Recherchen nötig, die in der Regel über die reine Polizeiberichterstattung hinausgehen. In ihren Empfehlungen an die Verkehrspolizei zeigen Ralph et al. (2022) drei Informationsschwerpunkte auf, durch welche Unfallmeldungen breiter kontextualisiert werden können: 

  • Beschreibung des Unfallortes und der Infrastruktur. Es wird gefragt, an welchen Orten und zu welchen Zeiten sich welche Arten von Kollisionen häufen. Im Projekt HIN (High Injury Network) wurden in verschiedenen amerikanischen Städten Muster der Unfallhäufigkeit erhoben. In San Francisco stellte sich zum Beispiel heraus, dass auf 16 Meilen der städtischen Strassennetze 60% der Kollisionenen vorkamen (https://visionzeronetwork.org/hin-for-the-win/). Hintergründe, die einen Zusammenhang zwischen Mängeln der Infrastruktur und dem Vorfall herstellen, sind: 

  • Einbezug von Statistiken, z.B. über die Häufigkeit bestimmter Unfallarten, über Unfälle mit Toten und Schwerverletzten, über Kollisionen verschiedener Verkehrsmittel an bestimmten Orten.

  • Erwähnung von Sicherheitssystemen (vgl. Abschnitt 4) zum safe system approach), von denen man weiss, dass sie die Wahrscheinlichkeit von Kollisionen reduzieren. Dazu gehören zum Beispiel das Drosseln von Geschwindigkeiten und des Verkehrsaufkommens, ausserdem Hinweise auf Lichtverhältnisse, die Signalisierung, den Strassenzustand und den Strassenunterhalt. 

  • Magusin (2019) schlägt vor, Aspekte der menschlichen Tragödie stärker zu gewichten und einen vertiefenden Einblick in die Erfahrungen der involvierten Menschen, bspw. der Hinterbliebenen, zu geben. Eventuell ist es wichtig, Name, Alter, Beruf (sofern rechtlich zulässig) und auch Zitate, die Einsichten in die Hintergründe des erlebten Geschehens ausleuchten, anzuführen. Journalistische Porträts von Unfallopfern können solche Faktoren berücksichtigen.

Im Folgenden zeigen wir einige Möglichkeiten, wie Texte über Verkehrsunfälle kontextualisiert werden können. Diese Übersicht soll als Anregung dienen und die Mechanismen der Kontextualisierung verdeutlichen. 

Statistische Daten

Jeweils im März veröffentlichen die Schweizer Behörden die Verkehrsunfallstatistiken zum Vorjahr, die Trends und Muster aufzeigen und diese in systemische Zusammenhänge einbetten. Bereits veröffentlichte statistische Daten können auch in die alltägliche Berichterstattung einfliessen, wenn zum Beispiel Vergleiche zu Vorjahren hergestellt werden. 

Datenjournalismus

Datenjournalistische Formate eignen sich, um nach bisher unbekannten Mustern im Verkehrsunfallgeschehen zu suchen. Denkbare Ansätze sind:

  • Unfallhäufigkeit und Unfallschwere mit verschiedenen Faktoren der Infrastruktur abzugleichen, z. B. angeben, ob es sich um eine Kantons- oder Gemeindestrasse handelt, welche Maximalgeschwindigkeit gilt oder, bei Unfällen mit Kindern, wie gross die Entfernung zur nächsten Schule ist;

  • Aufschlüsselung der Unfallschwere nach Beteiligten (wer kollidiert mit wem, wer wird wie schwer verletzt, wer nicht). 

Recherche

Recherchen können sichtbar machen, wie sich nicht-offensichtliche Faktoren auf die Verkehrssicherheit auswirken, zum Beispiel, wenn die Statistik ungewöhnliche Muster zeigt oder Änderungen von Gesetzen oder der Infrastruktur vorgenommen wurden. Aussagen von Fachpersonen wie Verkehrsplaner:innen oder Expert:innen für Verkehrssicherheit können das Ereignis in einen weiteren Kontext einbetten und zeigen, welche Faktoren neben dem individuellen Verhalten die Verkehrssicherheit beeinflussen. (Beispiel: Bericht aus der BaZ über den Basler Burgfelderplatz.)

Reportagen

Es kann sich lohnen, die Schauplätze ungewöhnlicher Verkehrsunfälle oder Unfallschwerpunkte zu begutachten. So können Faktoren, die für die Verkehrssicherheit relevant sind, dargestellt werden. Gespräche mit Anwohner:innen oder Nutzer:innen der Infrastruktur können helfen, das Verständnis der Verkehrssituation zu verbessern und Einblicke in die subjektive Gefahreneinschätzung der Verkehrsteilnehmenden geben.

Porträts

Porträts von Betroffenen und Hinterbliebenen können zeigen, welche Auswirkungen ein Verkehrsunfall haben kann. Dadurch wird die Tragweite eines Ereignisses sichtbar, das in den Medien normalerweise auf wenigen Zeilen zusammengefasst wird. Ein Porträt kann beleuchten, welche materiellen, gesundheitlichen und emotionalen Auswirkungen ein scheinbar alltägliches Ereignis mit sich bringt. Betroffene setzen sich auch mit den Ursachen des Ereignisses auseinander und damit, ob und wie vergleichbare Unfälle vermieden werden könnten. Dass Unfälle «Schicksal « sind, genügt ihnen als Erklärung nicht. 

Gerichtsberichterstattung

Gerichtsverhandlungen über Verkehrsunfälle bieten Einblicke in die juristischen und menschlichen Aspekte der Ereignisse. Einerseits werden vor Gericht alle bekannten Hintergründe und das Verschulden der Beteiligten verhandelt, hier wird auch sichtbar, wie das Rechtssystem mit Verkehrsunfällen umgeht und welche Konsequenzen sie für Opfer und Verursacher:innen haben. (Beispiel dazu aus der TAZ)

Hintergrund

Das Bundesamt für Strassen ASTRA setzte sich für die Schweiz zum Ziel, dass bis 2030 weniger als 100 Menschen im Strassenverkehr getötet und weniger als 2500 schwer verletzt werden, langfristig soll die Schweiz ein Land ohne Verkehrstote sein. 

Die ökonomische Dimension der Getöteten und Schwerverletzten und des Sachschadens ist enorm: Das Bundesamt für Raumentwicklung berechnete allein für das Jahr 2020 die externen Kosten (wie Rehabilitation der Unfallopfer, Invalidität) durch Unfälle im Strassenverkehr auf 1.8 Mrd. Franken. Insgesamt betrugen die Unfallkosten laut dem Bundesamt für Statistik 8,7 Mia. Franken. Nicht eingeschlossen in diese Kostenberechnung ist das persönliche Leid für Angehörige und Betroffene. 

Staatliche Eingriffe sind hingegen stark umstritten, selbst dann, wenn deren Wirksamkeit nachgewiesen ist – wie etwa die Debatte um Tempo-30 innerorts zeigt. Doch im Moment scheinen umfassendere Massnahmen auf Infrastruktur- oder Gesetzesebene nicht in Reichweite, wenn Einschränkungen einer grösseren Gruppe von Verkehrsteilnehmenden damit verbunden wären. 

Allerdings: Ohne staatliche Interventionen wäre die Verkehrssicherheit weit vom heutigen Niveau entfernt. Die höchste Zahl Verkehrstoter ist im Jahr 1971 registriert worden – 1.773 Menschen sind in diesem Jahr in der Schweiz getötet worden. Damals gab es auf Autobahnen kein Tempolimit, es gab keine Gurtenpflicht, keine Radarkontrollen und eine höhere Promillegrenze als heute. Dass individuelle Freiheit Einzelner zugunsten der Sicherheit aller eingeschränkt wurde, ist heute akzeptiert – doch vor der Einführung dieser Massnahmen wurden die entsprechenden Massnahmen genauso entschlossen bekämpft wie Tempo-30 heute. 

Getötete bei Strassenverkehrsunfällen (1965–2022)
Getötete bei Strassenverkehrsunfällen in der Schweiz (1965–2022). Jeder Kreis ist eine staatliche Intervention.

  • 1971: Gurtenpflicht auf Vordersitzen.

  • 1973: provisorische Einführung von Tempo 100 ausserorts

  • 1977: definitive Einführung von Tempo 100 ausserorts und Tempo 130 auf Autobahnen

  • 1980: Grenzwert für Blutalkohol gesetzlich auf 0,8 Promille festgelegt

  • 1984: Höchstgeschwindigkeit innerorts 50 km/h

  • 1985: provisorische Einführung von Tempo 80 ausserorts und 120 auf Autobahnen

  • 1990: definitive Einführung von Tempo 80 ausserorts und 120 auf Autobahnen, war Gegenstand einer Volksabstimmung

  • 1994: Gurtenpflicht auf Rücksitzen

    • ausserdem: Fussgänger müssen kein Handzeichen geben, wenn sie über den Fussgängerstreifen wollen. Das halten noch heute viele für falsch, aber damals gab es ca. 40 Getötete auf Fussgängerstreifen, heute sind es noch ca. 15.

  • 2002: Mehrere neue Regelungen im Strassenverkehr: 

    • Zitat Astra: «So müssen Kinder neu in PWs auf allen mit Gurten versehenen Plätzen gesichert werden.»

    • Einführung von Begegnungszonen mit Tempo 20

    • Tagfahrlicht

  • 2005: Grenzwert für Blutalkohol bei 0,5 Promille. 

  • 2010: Zitat Astra: «Kindersitzobligatorium für Kinder unter 12 Jahren, die kleiner als 150 cm sind»

Seit 2014 gehen die Unfallzahlen kaum zurück - wenn man von den ersten Jahren der Covid-19-Pandemie absieht. Unfälle mit Zufussgehenden und Velofahrer:innen nehmen sogar zu. Die wirkungsvollen Massnahmen scheinen weitgehend ausgeschöpft. Die Hoffnungen liegen unter anderem auf Präventionskampagnen, die an die Einzelnen appellieren, nicht Opfer eines Unfalls zu werden, oder keinen Unfall zu verursachen. Diese Kampagnen, deren Wirkung sich kaum messen lässt, delegieren die Verkehrssicherheit in den Verantwortungsbereich des Individuums.

Literaturverzeichnis

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