SUVs – die sog. Sport Utility Vehicles – sind eine paradoxe Erscheinung. In Zeiten der Klimakrise gälte es eigentlich, Autos kleiner und umweltschonender zu bauen. Mit ihrem hohen Energieverbrauch treten SUVs aber wie Dinosaurier in die Welt: Sie wiegen etwa doppelt so viel wie kleine Autos und verbrauchen rund einen Viertel mehr Treibstoff als mittelgrosse Fahrzeuge. Sie sprengen normale Parkplätze und schweben so hoch über der Strasse, dass Erwachsene nur auf Zehenspitzen übers Dach gucken können. SUVs imitieren in ihrem Erscheinungsbild klassische Geländewagen, sind aber technisch mehr für die Strasse als fürs Gelände gebaut. Denn Allradantrieb besitzen sie längst nicht alle.
Die weichgespülten Stadtgeländewagen kommen gut an: 2019 wurden in Deutschland mehr als eine Million SUVs angemeldet. Bei BMW, Audi, Daimler und VW machen sie zwischen 27 und 43 % Anteil der verkauften Fahrzeuge aus (Spiegel, 14.09.2019, S. 17). Als Kaufgrund nennen viele die Sicherheit. Im Strassenverkehr wirken SUVs wie Trutzburgen. Wer sie fährt, vermindert das eigene Verletzungsrisiko, erhöht jedoch das der anderen. Wer ‹gross› fährt, markiert auch Status. Der Gründe für den Kauf eines SUV gibt es viele. Im Folgenden beleuchten wir einige der Werbestrategien, die Stadtgeländewagen attraktiv machen. Besonders interessiert uns dabei die Rolle der Sprache.
Ein falscher Name kann das Geschäft verderben. Marketingexperten gehen davon aus, dass der Ford Edsel, der als einer der grössten Misserfolge der Marketinggeschichte gilt, vor allem wegen des Klangs seines Namens floppte (Klink 2000). Namen sind weit mehr als Schall und Rauch. Sie können unsere Einstellung gegenüber einer Sache entscheidend prägen. Dieser Einsicht eifern auch die Marketingstrategen der SUV-Mobile nach. Hören wir hin, wie die Marken klingen: Da gibt es den Tarek und den T-Roc, den Tucson, Kuga, Compass, Cupra Atec und den Crossland, dann den Grandland, den Koleos, Kadjar, Kodiaq und Karoq etc. Welche Assoziationen stellen sich bei Ihnen ein, wenn Sie diese Namen hören? Etwas Grosses, Wuchtiges vielleicht? Vergleichen Sie Ihren Eindruck mit den Namen einer zweiten Autogruppe, deren Wagen Ignis, Cricket, Swift und Ceed heissen (Abbildungen 1 und 2).
[1] Jengtingchen[2] / [3] CC BY-SA[4] Thesupermat[5] / [6] CC BY-SA
Was zeichnet die erste Namengruppe aus? Auffällig ist die Häufung der dunklen Vokale o, u und a: Cupra, Karoc, Tucson, auch harte, sog. plosive Konsonanten wie t und k kommen gehäuft vor. In der zweiten Gruppe, die Kleinwagen, aber auch kleine SUV-Wagen wie den Suzuki Ignis umfasst, dominieren dagegen die hellen Vokale e und i: Ignis, Cricket, Swift, Ceed, Laute, mit denen wir offenbar leicht Kleines assoziieren. Dass dieses Prinzip nicht nur im Deutschen und bei Autonamen wirkt, zeigen Wörter wie klein und winzig oder englisch teeny-weeny, französisch petit, diminutiv, griechisch mikros, spanisch chico. Alle diese Lautungen lassen das Wort für etwas Kleines auch ‹klein› klingen.
Wie kommen wir dazu, helle Vokale (i und e) kleinen und dunkle Vokale (a, o und u) eher grossen Gegenständen zuzuordnen? Die Linguistik bietet zwei Erklärungen dafür:
Die Grösse des Rachenraumes beim Aussprechen dieser Laute widerspiegelt die Grösse der beschriebenen Sache. Mit grossem Rachenraum erzeugen wir die sog. Hinterzungenvokale a, o und u und verbinden sie mit grossen Dingen: zum Beispiel mit Namen wie Amarok, Karoq und Cupra. Beim Verengen des Mundraumes erzeugen wir die hellen Töne e und i, die wir mit kleinen Gegenständen verbinden. Deshalb Wörter wie piepsen und Tüpfelchen und die Namen für die kleinen Autos Ignis, Cricket, Ceed (Ramachandran 2012).
Eine zweite Erklärung für die Lautsymbolik ist stammesgeschichtlich und beruht auf der Naturerfahrung. Sie nimmt an, dass Menschen die vorderen, hellen Töne kleinen und harmlosen Lebewesen zuordnen, wie etwa dem Trällern eines Vogels, die hinteren, dunklen hingegen Tieren, wie etwa einem Bullen oder Löwen, die dem Menschen gefährlich werden können. Klangfarbe spiegelt also Grösse und Gefährlichkeit bzw. Harmlosigkeit des Tiers (Ohala 1994). Auf die SUVs übertragen bedeutet dies: Tarek, Karoq, Kodiaq, Kuga, Compass, Crossland, Grandland und Commander wirken gross und einschüchternd wie Raubtiere (der Kodiaq etwa leitet sich direkt vom Kodiakbär, der grössten Braunbärart ab), Ignis, Cricket, Swift sind die ‹Kleintiere› unter den Wagen (Cricket wörtlich eine Grille und Swift ein Mauersegler). (Abbildung 3)
Die Namensfindung für Produkte überlässt also nichts dem Zufall. Eine wichtige Strategie ist auch semantisches Kalkül: Man sucht Wörter, die sich lautlich an bestehende Wörter anlehnen. Viele Namen für Automarken werden bewusst aus bestehenden Wörtern oder Eigennamen abgeleitet – diese sind zum Teil auch aus anderen Sprachen entlehnt, wie etwa der Porsche Macan, der nach dem javanischen Wort für ‹Tiger› benannt wurde. Tabelle 1 zeigt links einige Namen für SUVs oder andere Geländewagen, die Grösse assoziieren, rechts stehen Erklärungen, von welchen Wörtern die Namen abgeleitet sind und welche zusätzlichen Wort-Assoziationen sie möglich machen. Als Gegenbeispiele folgen einige Namen von Kleinwagen und deren Bedeutungsassoziationen.
Tabelle 1: Beispiele von SUV-Namen und Namen von Kleinwagen und ihrer Herkunft bzw. ihren Bedeutungsassoziationen mit bekannten Wörtern[7] Nicht alle möglichen Assoziationen sind von den Autokonzernen beabsichtigt, da sie je nach Sprache der Angesprochenen variieren. So könnte der [8] Skoda Kodiaq[9] einige an den ‹Zodiac›, den Tierkreis, erinnern, der astrologisch das Leben bestimmt. Verweisen soll er jedoch auf den Kodiakbären. Sein Nachfolger, der [10] Skoda Karoq[11] , mag manche wiederum an das alte Kartenspiel ‹Tarock› denken lassen, der Name leitet sich jedoch aus der Stammessprache der Alutiiq auf Kodiak Island ab (kaa'raq = Auto und ruq = Pfeil). | |
Namen für SUVs bzw. Geländewagen | Bedeutungsnähe |
---|---|
Compass (Jeep) | engl. compass = Richtungsanzeiger in der Wildnis |
Commander (Jeep) | engl. commander = Befehlshaber |
Grand Cherokee (Jeep) | engl. grand = grossartig und Cherokee = grosses indigenes Volk Nordamerikas |
Renegade (Jeep) | engl. renegade = Abtrünniger |
Explorer (Ford) | engl. explorer = Entdecker |
Maverick (Ford) | engl. maverick = Einzelgänger, Alleingänger, Rebell |
Kuga (Ford) | möglicher Anklang an engl. cougar = Puma |
Cupra Ateca (SEAT) | Cupra: Abkürzung für engl. Cup Racer = Siegestrophäe und Rennwagen; Ateca = zentralspanische Gemeinde |
Crossback (Citroen) | engl. cross = durchqueren, back: Anklang an outback = Hinterland |
Crossland (Opel) | engl. cross = durchqueren, land = Land |
Grandland X (Opel) | engl. grossartiges Land; X: Abkürzung für ‹extra› als Marker für Sondergrössen |
Antara (Opel) | möglicher Anklang an Antarktis |
Duster (Dacia) | engl. duster = ‹Staubaufwirbler›, -streuer, Zerstäuber |
Kodiaq (Skoda) | Kodiakbär = die grösste Braunbärenart |
Karoq (Skoda) | in der Stammessprache der Alutiiq auf Kodiak Island: kaa'raq = Auto und ruq = Pfeil |
Navara (Nissan), Pickup | Navarra = spanische Gebirgsgegend |
Amarok (VW), Pickup | Amarok = riesiger Wolf aus der Mythologie der Inuit |
T-Roc (VW) | Anklang an engl. rock = Fels und harter Musiksound; T-Rex = grosse Dinosaurierart |
Touareg (VW) | Tuareg = nomadisches Wüstenvolk in der Sahara |
Tiguan (VW) | zusammengesetzt aus Tiger und Leguan |
Grand Vitara (Suzuki) | engl. grand = grossartig und Anspielung auf lat. vita = Leben |
Macan (Porsche) | javanisch macan = Tiger |
Eclipse Cross (Mitsubishi) | engl. to eclipse = in den Schatten stellen, in den Hintergrund drängen |
Captur (Renault) | engl. to capture = fangen, packen, erwischen |
Koleos (Renault) | möglicher Anklang an griech. Koloss = ein riesiges Standbild, Gebilde |
Kadjar (Renault) | engl. quad = ein vierrädriges Fahrzeug und Anklang an fr. agile = agil? |
Tucson (Hyundai) | Tucson = Wüstenstadt in Arizona (USA), an der legendären Route 66 gelegen |
Sportage (Kia) | Anklang an Sport |
Gegenbeispiele für kleine Fahrzeuge | Bedeutungsnähe |
Ignis (Suzuki), kleiner SUV | lat. ignis = Feuer: ein feuriges Gerät |
Swift (Suzuki), Kleinwagen | engl. swift = schnell, aber auch: Mauersegler, ein Vogel |
Polo Cricket (VW), Kleinwagen | Polo und Cricket = Sportarten, aber auch: engl. cricket = Heuschrecke, ein Insekt. |
Ceed (Kia) | möglicher Anklang an engl. seed = Saat, Samen |
Fiesta (Ford), Kleinwagen | span. fiesta = Fest, Feier |
Cinquecento (Fiat), Kleinstwagen | ital. cinquecento = fünfhundert |
Citigo (Skoda), Kleinstwagen | engl. city = Stadt und engl. go = gehen |
Picanto (Kia), Kleinstwagen | ital. piccante = scharf, pikant |
Celerio (Suzuki), Kleinstwagen | span. celeste = himmlisch |
Überblicken wir die Namens-Assoziationen der SUVs, so zeichnen sich zwei Vorstellungsgrössen ab: (1) das Anwendungsgebiet der Fahrzeuge, d. h. die Landschaft, in der sie sich imaginär bewegen, und (2) das ‹Phantombild› des typischen SUV-Fahrers.
Namen wie Grandland, Grand Cherokee und Outback verweisen auf weite, unwirtliche Landschaften, die Züge von Gebirgen (Navarra) oder Wüsten tragen, und in denen die vermeintliche Geländegängigkeit der SUVs zur Geltung kommt. Die Werbebilder entführen in unberührte Landschaften, in denen nur mehr Menschen und ihr jeweiliges Auto überlebt zu haben scheinen (vgl. etwa die Kulisse der T-Roc-Werbung unten). Die leeren Strassen, weiten offenen Landschaften und unwegsamen Gelände abseits jeglicher Zivilisation vermitteln ein Gefühl der Freiheit und Unabhängigkeit, verlangen den Fahrern jedoch auch Mut und Kraft ab. In der Werbung werden SUVs nie im Alltagsverkehr mit anderen Fahrzeugen gezeigt oder geparkt. Ihre alltägliche Fahrrealität ist in der Werbung abwesend. Die zahlreichen englischen oder ‹fremdländischen› Namen verleihen manchen SUVs zudem einen Touch von Internationalität, Exotik oder Coolness. Namen wie Cherokee und Tucson versetzen uns direkt ins Auto-Land USA.
Mit Namen wie Commander, Explorer, Renegade, Duster, T-Roc (und anderen der oben genannten) definieren die SUV-Wagen indirekt auch Eigenschaften ihrer imaginierten Fahrer. Diese sind
vital und aktiv (sie wirbeln Staub auf und durchqueren wilde Gebiete)
Siegertypen (sind hervorragend, befehlen, greifen an, verdrängen andere und stellen sie in den Schatten),
Abenteurer, Entdecker, die als Abtrünnige, Alleingänger oder Nomaden ausserhalb der Regeln in der Wildnis leben
stark und einschüchternd wie Raubtiere (Tiger, Bären, Wölfe)
und hart (wie Felsen).
Diese Merkmale männlicher Stärke zeigen sich auch in der Art, wie SUVs in der Werbung vermenschlicht werden. So heisst es etwa vom Peugeot 2008, er sei «in der Stadt wie in den Bergen zu Hause», und vom Peugeot 3008, er «beherrsche» jedes Terrain. Die Autos werden vorgestellt, als wären sie Personen mit einem Charakter, der zur Identifikation einlädt. Mensch und Maschine verschmelzen: Das vermenschlichte Auto und der automobile Mensch werden eins und gewinnen erst dadurch ihre Stärke (Thrift 2004, Urry 2006).
SUVs werden nicht nur vermenschlicht, sie bieten ihren Fahrern und Fahrerinnen auch ein zweites Gesicht, das des «Stärkeungeheuers» an (Schmidt 2019, S. 72). Die Forschung zur Kühlergestaltung hat nachgewiesen, dass die Formen der ‹Autoschnauze›, d.h. der Lichter und des Kühlergrills, tierische bzw. menschliche Gesichtszüge nachahmen.
So zeigt das linke Gefährt in Abbildung 4 das typische SUV-Gesicht. Nach hinten hochgezogene ‹Augenschlitze› und die nach unten gezogenen unteren Lufteinlässe bzw. Mundwinkel suggerieren Bedrohung. Das Fahrzeug rechts ähnelt dem freundlichen Kindchenschema mit tiefliegenden Augen und ‹lächelndem› Lufteinlass unten (Abbildung 4).
Die Namens-Assoziationen der SUVs und die darauf aufbauenden Werbestrategien richten sich hauptsächlich an Männer und schreiben diesen Werte wie Stärke, Härte und Unabhängigkeit zu. Auch in den Werbebildern dominiert der Mann am Steuer der SUV-Wagen. Er kommt vor allem in zwei Rollen vor: Er ist entweder der unabhängige Alleingänger oder der Fahrer mit seiner weiblichen Eroberung auf dem Beifahrersitz, die ihm mitunter bedeutungsschwere Blicke zuwirft. (Abbildung 6 und 7)
[13] Werbespot für das Skoda 4x4-Angebot
Auf diesen männlichen Werten aufbauend entwirft die SUV-Werbung ein verheissungsvolles Bild des Autofahrens als Abenteuer und Ausbruch aus dem Alltag. Der Werbespot für den Opel Grandland X ist ein Paradebeispiel dafür (Abbildung 8 und 9). Die Pressemitteilung von Opel beschreibt den Spot wie folgt:
«Auf der Suche – so tigert der bärtige Familienvater in den besten Jahren rastlos durchs eigene Haus. Doch auf der Suche wonach? Nach was Großem, das den Alltag wieder spannend macht! Er blickt aus dem Fenster und entdeckt … den neuen Opel GrandlandX. ‹Ich hab's!› freut er sich beim Fahren über die wiedergewonnene Freiheit. Genau das vermittelt der neue TV-Spot: ‹Das Leben ist Grand!›. Der Spot symbolisiert dieses Gefühl: Einfach mal die Routine hinter sich lassen, das Abenteuer im Alltag wiederentdecken, sprich: das Leben wieder lockerer nehmen.»[14] https://at-media.opel.com/de-at/01-15-grandland-x-campaign
[16] Werbespot für den Opel Grandland X
Die Werbung wertet das Alltagsleben systematisch ab. Sie unterstellt dem Alltag Routine, Monotonie, Langeweile und Frustration. Der Werbespot zeigt den Mann in seiner Wohnung hinter dem Gitter des Fensters wie einen Gefangenen (Abbildung 8) – und bietet den SUV als Schlüssel zur Befreiung aus dem häuslichen Gefängnis an. Das Auto verspricht Abenteuer, Freiheit und Fahrspass und soll das Leben «grand», d.h. grossartig machen. Das grosse Fahrzeug bedeutet demnach auch ein ‹grossartiges› Leben. Zugleich kommt eine spezifische Anspruchskultur zum Vorschein, die ein stetiges Mehr und eine konstante Steigerung verlangt. Masslosigkeit erscheint hier nicht nur akzeptabel, sondern wird geradezu heraufbeschworen. «Free, free, please set me free» heisst es in den eigens für den Werbespot des Jeep Compass getexteten Liedzeilen, während ein junges Paar den vermeintlichen gesellschaftlichen Zwängen entflieht und im Jeep Compass in die Freiheit fährt.
Ausgeblendet wird dabei nicht nur, dass die Freiheit auch darin liegen kann, sich nicht von den Werbeaufrufen nach immer mehr verführen zu lassen und ein Genügen im Alltag zu finden.
Mit ihren Namen und ihrem physischen ‹Auftritt› als wilde Tiere wirken die SUVs vor allem als Machtinstrumente. Wie kommt es zu dieser maschinellen Aufrüstung in einer Zeit, wo eigentlich eine ökologische Beschränkung, eine Verkleinerung der Autos nötig wäre?
Zu vermuten ist: Der bullige Auftritt der SUVs richtet sich in Wahrheit nicht gegen eine wilde Natur, wie sie in den Werbespots dargestellt wird, sondern gegen ein Verkehrsumfeld, das zunehmend als ‹Wildnis›, als «Verkehrskampf» (Spiegel, 14.09.2019, S. 17) erfahren wird. Auf den schweizerischen Nationalstrassen hat sich der Verkehr seit 1980 mehr als verdoppelt. Laut Berechnungen des Bundesamtes für Raumentwicklung wird er zwischen 2010 und 2040 um weitere 25% zunehmen. Vergegenwärtigen wir uns die Fahrrealität der SUVs, so sehen wir keine Wildbäche, Felsen und Sanddünen, wie sie die Werbung für SUVs nahelegen, sondern mehrspurige Autobahnen und Wagen, die dichtgepackt in Staus festsitzen oder Parklücken suchen.
Der schweizerische Fahralltag mit seinen enger werdenden Räumen zwingt Lenkerinnen und Lenker zur Rücksichtnahme. Diese bedeutet Freiheitseinbusse, fordert Ego-Reduktion, macht psychologisch eher klein, statt gross. Zwei Metaphern bieten sich zur Beschreibung dieser Umstände an: der Fluss und die Herde. Mit seinem Fliessen, Strömen und Stauen macht sich der Verkehr heute mehr denn je als Naturgewalt erfahrbar. Nicht ohne Grund spricht man von Blechlawinen. Die Flussmetapher verrät treffend die psychologische Erfahrung im heutigen Massenverkehr. Der Verkehrsfluss nimmt die einzelnen Autos auf, spült sie über die Strassen und anonymisiert sie dabei. In diesem kollektiven Fliessen und Stauen haben die SUV-Piloten ihre Nasen vorn – genauer: weiter oben. Ihre um ca. 20 Zentimeter erhöhten Kutschersitze erlauben es ihren Passagieren, ihre Köpfe im Verkehrsfluss ‹über Wasser› zu halten. Sie bieten Überblick und Erhabenheit und versuchen so, die Vermassung zu kompensieren, die ihren Fahrerinnen und Fahrern im anonymen Verkehrsfluss widerfährt.
Neben der Flussbild scheint auch das Herdenbild die Erfahrung der Verkehrs-Vermassung zu treffen. Herden bestehen typischerweise aus kollektiven Herdentieren und einem Leitbullen. Mit ihren Schnauzen und Angriffs-Augen, aber auch mit ihren Namen, bieten SUVs ihren Fahrern und Fahrerinnen eine Alpha-Identität als Bullen an. Diese können sie im Verkehr ausspielen, indem sie andere zu Beta-Tieren degradieren. Die Konstrukteure der SUV-Bullen haben die Verkehrswelt offenbar als freie Wildbahn entworfen, in der die Autos Rollen in einer Auto-Herde einnehmen.
Ein Werbespot von VW für den T-Roc nimmt das Herden-Szenario wörtlich. Ein SUV ist in einer weiten Weidelandschaft unterwegs und wird unvermittelt von einer Schafherde zum Anhalten gezwungen (Abbildung 10). Der SUV überragt die Schafe deutlich und bietet Sicherheit vor anbrandenden Tieren. Nun stellt sich dem T-Roc-SUV der gehörnte Leitbock entgegen. Auto-‹Bock› steht gegen Schafbock. Im Kräftemessen mit dem Tier trägt der SUV den Sieg davon. Der Schafbock weicht zur Seite aus und macht dem Auto den Weg frei (Abbildung 11).
[18] Werbespot für den VW T-Roc
Die Schafherde mit ihren eng gedrängten Körpern ähnelt im Bild einem Verkehrsstau. Die Schafe ‹stehen im Stau› und bringen den SUV zum Stehen. Der Werbespot verspricht: Mit deinem T-Roc setzt du dich im täglichen Verkehrskampf gegen die anderen Herdentiere durch!
Die Szene erzählt uns beiläufig auch etwas über das vorökologische Naturverständnis, das hinter den SUVs steht. Anders als die vielen Naturszenen in SUV-Werbungen vermuten lassen, vermitteln SUVs nicht Naturnähe, kein Miteinander von Mensch und Natur. Hier wird vorgeführt, wie der Mensch in seinem SUV die Natur (den Schafbock) besiegt und vom Weg verdrängt. Passend zur Herdenszene lässt uns der Markenname die Konfrontation zweier Böcke auch hören: Der T-Roc besiegt den Schafbock. Stark verkürzt veranschaulicht diese Szene somit ein Prinzip, das wir aus der Geschichte der menschlichen Naturunterwerfung zur Genüge kennen: Technologie beherrscht Natur (Abbildung 11).
[20] Werbespot für den VW T-Roc
Die Panzerung der SUV-Trutzburgen bedeutet auch Sicherheit. Vielleicht drückt die Journalistin Sarah Pines eine typisch weibliche Wahrnehmung aus, wenn sie schreibt: «Der SUV ist ein passiv erlebter Sicherheitsraum, umgeben von Stahl und Gummilitze ist er mein Exoskelett, mein «safe space» – eine Illusion, Gefühl und nicht Fakt, ein geistiger Zustand, in den ich hineingleite, sobald meine Beine den Ledersitz berühren, die Tür mit einem gedämpften «Thumb» zufällt. SUV, mein Kokon. Hier drinnen bin ich einsam, wild und frei wie der Büffel in der Prärie» (NZZ, 2.12.2019).
Laut dem Psychologen Rüdiger Hossiep befriedigen SUVs einerseits ein Bedürfnis nach Überlegenheit, andererseits aber auch nach Schutz. Beide Bedürfnisse lassen sich als Reaktionen auf die heutigen Herden-Verkehrsverhältnisse gut verstehen (Hossiep 2018).
Die Überlegenheit und Sicherheit, die der SUV im Verkehrskampf verspricht, erweisen sich im städtischen Alltag als trügerisch. Von Autopanzern geht eine erhöhte Gefahr für die schwächsten Teilnehmenden im Strassenverkehr aus – den zu Fuss Gehenden, wie vermehrte tödliche Unfälle mit SUV-Autos zeigen (Spiegel, 14.09.2019, S. 16). Diese Sicherheitsrisiken bekommen vermehrt mediale Aufmerksamkeit. Gestärkt durch ein gleichzeitig steigendes Umweltbewusstsein in der Bevölkerung bedrängt dies die Automobilindustrie zunehmend (Schmidt 2019, S. 70).
Die SUV-Werbung reagiert mit Strategien, die man als Greenwashing bezeichnen muss. Der Hybrid-Antrieb seiner SUV-Flotte veranlasst Toyota zum Beispiel dazu, mit dem Slogan «Aus Liebe zum Leben. Aus Liebe zur Natur» zu werben. Mit der vermeintlich sauberen Antriebstechnologie gibt sich Toyota umweltfreundlich und im Werbespot auch dahingehend fortschrittlich, dass er die Frau am Steuer ins Bild rückt: eine Fotografin mit Hund, die mit dem SUV-Auto in den Bergen tolle Fotomotive einfängt.
Welches Konzept von Natur tritt hier jedoch zutage? Die Natur bleibt medial vermittelt. Sie ist ein Konsumgut, das der menschlichen Befriedigung dient. Bereits der Medientheoretiker Paul Virilio verglich das Auto mit einem Filmprojektor. Autofahren ist demnach wie ein Besuch im Kino: Beim Blick durch die Windschutzscheibe laufen bewegte Bilder am Fahrer vorbei, die Windschutzscheibe wirkt als Leinwand (Wagenknecht 2011, S. 193). Die äussere Welt, die Natur, wird reduziert auf eine Bilderfolge. Der SUV-Panzer, der die Insassen vor jeglichen äusseren Sinneseindrücken abschottet, verstärkt diese Eigenschaft des Autos als Medium.
Werbung und Design machen aus SUVs weit mehr als Transportmittel. Mit ihren respektheischenden Namen und ihren furchteinflössenden Schnauzen verwandeln sie den öffentlichen Raum in eine Wildnis- und Kampfzone. Während das Verkehrsgesetz allen Verkehrsteilnehmern gleiche Rechte einräumt, führt der SUV unterschwellig das Recht des Stärkeren wieder ein. Die Stadtpanzer bieten ihrer Fahrern Identitäten als Kraftnaturen, Abenteurer und Patriarchen an und bieten ihnen dazu ein burgähnliches Sicherheitsgehäuse. Was sich einerseits als technologischer Fortschritt mit Klima- und Hi-Fi-Anlage ausgibt, ist andererseits Ausdruck einer kulturgeschichtlichen Regression. Man kann diese Regression deuten als Reaktion auf eine Wirtschafts- und Verkehrspolitik, die auf begrenztem Raum immer mehr Autos zulässt – genauer gesagt aufeinander loslässt. Die Folge ist ein Verkehrsaufkommen, das als Herdenerfahrung und naturhafter Strom erfahren wird. Wenn heute knapp die Hälfte der Neuzulassungen von PKWs SUVs sind, so ist dieser Boom nicht allein durch die Wirkung kluger Werbung zu erklären. Sie drückt auch die Befindlichkeit vieler im heutigen Verkehrsgeschehen aus.
Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel bezeichnet am 14.09.2019 den SUV- Boom als Ausdruck einer gesellschaftlichen Doppelmoral, die – vereinfacht ausgedrückt – so entsteht: Viele wissen, dass SUVs umweltschädlich und klimaunverträglich sind, räumen ihnen aber dennoch einen selbstverständlichen Platz in ihrem Leben ein. Diese Selbstverständlichkeit wird durch das wachsende Verkehrsaufkommen und raffinierte Werbung verstärkt. SUVs sind klimaschädlich, aber sie bedeuten auch Sicherheit und markieren Stärke und Status. Aus diskurslinguistischer Sicht prallen in diesem Paradox zwei Diskurse aufeinander, die sachlich unvereinbar, aber im praktischen Handeln immer noch möglich sind. Dieser Widerspruch wird von der heutigen Klimadebatte aufgegriffen und sollte vermehrt thematisiert werden. Sonst kann es weiterhin geschehen, dass auch WählerInnen der Grünen SUVs fahren.
(Im Kapitel «Der Mensch als Automobilist» gehen wir den Gründen für diesen Umstand aus einer anderen Blickrichtung nach.)
Was kann Sprachreflexion dazu beitragen, dieses Nebeneinander zweier widersprüchlicher Denk- und Redeweisen abzuschwächen?
Sprachreflexion schafft Bewusstsein. Werden Werbestrategien und Produktdesign erkannt und durchschaut, so verlieren sie einen Teil ihrer Verführungskraft.
Sprachliche Umdeutung. Wörter eröffnen Perspektiven auf die Welt und führen Wertungen und Haltungen mit sich. Die Markennamen der SUVs sind sprechende Beispiele solcher Wertungen, die auch Identitätsangebote einschliessen: Commander, Renegade, Grand Cherokee. Aus SUV-kritischer Sicht lässt sich dasselbe Gefährt auch mit Zuschreibungen benennen, die es in ein anderes Licht rückt. Mit
Stärkeungeheuer (Schmidt 2019),
Trutzburgen und
Stadtpanzer haben wir dies in diesem Artikel schon getan. Solche Metaphern drücken Wahrnehmungen aus, die eher die Sichtweisen von FussgängerInnen oder ‹unterlegenen› Verkehrsteilnehmenden wiedergeben. Bezeichnet man SUVs als
Klimakiller, wie Greenpeace-Aktivisten (Spiegel 14.09.2019, S.16) oder als
Dreckschleuder, so beleuchtet man direkt deren Umweltschädlichkeit. Auch
Hausfrauenpanzer (Wikipedia) entlarvt eine bestimmte soziale Funktion der SUVs.
In den USA kursiert der SUV-kritische Ausdruck
suburban assault vehicle (‹vorstädtisches Angriffsfahrzeug›) (mehr dazu auf Wikipedia zu SUV). Erlangen solche (oft spasshaft gemeinten) Umbenennungen hohe Verbreitung, so können sie eine gesellschaftliche Umwertung dieser Gefährte einleiten.
Staatliche Werbevorgaben. Gäbe es ähnlich wie bei Alkohol und Raucherwaren staatliche Vorgaben wie Werbeverbote oder Warnhinweise, wäre ein wichtiger Schritt getan, um die Unverträglichkeitsfolgen der SUVs zu mindern.
Hossiep, Rüdiger (2018). Beim Kauf eines SUV zählt allein das Image. In: Deutsche Welle https://p.dw.com/p/2r8SX (abgerufen am 12. 05. 2020)
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