Landschaft als Fläche

Bedeutung

Im Diskurs über Landschaft ist der Ausdruck Fläche allgegenwärtig. Er kommt in den unterschiedlichsten Zusammenhängen vor:

Agrarflächen, Flächenbedarf, Flächenverbrauch, Siedlungsfläche, Landesfläche, Landwirtschaftsfläche, Anbauflächen, Waldfläche, Gebäudefläche, Gesamtfläche, Biodiversitätsförderfläche, Flächennutzungszertifikat

Lebensraumfläche, Untersuchungsflächen, Verkehrsfläche, ökologische Ausgleichsfläche, Flächentransfer, geschützte Fläche, isolierte Fläche, unproduktive Fläche, voneinander getrennte Flächen, extensiv genutzte Fläche, zerschnittene Flächen, landwirtschaftliche Nutzfläche etc.

Fläche ist ein aus der Geometrie übertragener Begriff, eine Metapher, die Landschaft in geometrischen Denkweisen verfügbar macht. Bezeichnen wir eine Landschaft als Fläche, so heben wir gedanklich bestimmte ihrer Merkmale hervor, während wir andere ausblenden. Die Flächenmetapher entfaltet damit eine erkenntnis- und handlungsleitende Wirkung, die uns meist nicht zu Bewusstsein kommt. Im Folgenden stellen wir einige dieser Hervorhebungs- und Verdeckungs-Effekte vor (vgl. highlighting- and hiding-effect, Lakoff/ Johnson 1980, 10ff). Die Herleitung dieser Wirkung und die theoretische Verankerung des Flächenbegriffs im Raumbegriff ebenso wie Hinweise für die Praxis von Forschung, Planung und Politik finden sich im Abschnitt Raum/Behälterraum

Die Metapher hebt hervor:
Der geometrische Begriff erfasst Landschaft unter dem Aspekt ihrer Messbarkeit.

Verstehen wir Landschaft als Fläche, so wird sie dem Denken als präzise Quantität mit klaren Grenzen verfügbar gemacht.

Der Flächenbegriff lädt damit zum gedanklichen Quantifizieren ein. So wird z.B. das präzise Ermitteln des Ernteertrags pro Flächeneinheit möglich. Auch rechtliche Vorgaben, etwa im Baurecht bis hin zu den staatlichen Entschädigungen für das Anlegen von Biodiversitätsförderflächen, können präzis erfasst werden.

Zum Vergleich: Noch bis ca. 1900 wurden Ackergrössen nicht geometrisch, sondern nach der Zeit bemessen, die ihre Bearbeitung in Anspruch nahm. Beispiele: ein Tagewerk, ein Morgen, eine Jucharte (was mit einem Joch Ochsen, d.h. einem Zweiergespann, in einem Tag bearbeitet werden kann).

Die Metapher blendet aus:
Der Flächenbegriff suggeriert klare Grenzen, wo in der Natur fliessende Übergänge bestehen.

Versteht man Landschaft als Fläche, so wird leicht übersehen, dass die Natur kaum scharfe Grenzen kennt. Unscharfe Ränder und fliessende Übergänge etwa an Parzellen-, Gebäude-, Wald-, oder Gewässerrändern erscheinen unter dem «Flächenblick» als korrekturbedürftig.

Allgemein: Das Teilen der Landschaft in Flächen erschwert ihre Wahrnehmung als Ganzheit und Einzigartigkeit.

Zum Vergleich: Vor der modernen Flächenordnung existierten entlang von Ackerflächen sog. Feldraine, d.h. ungepflügte Grasstreifen. Sie sind heute weitgehend aus den flurbereinigten Agrarlandschaften verschwunden. Sie waren wertvolle Lebensräume für Pflanzen und Tiere. Dasselbe gilt für Krautsäume und Strauchgürtel entlang von Waldrändern. Diese werden zum Teil heute wieder angelegt. Die Metaphern Saum und Gürtel deuten auf eine Landschaftsverständnis als Kleid bzw. Gewand hin.

Die Metapher hebt hervor:
Fläche schafft Homogenität.

Wird Landschaft als Fläche verstanden, so erscheinen alle ihre Teile als gleichwertig, ob sonnenexponiert oder schattig, aussichtsreich oder -arm, fruchtbar, mager oder felsig. In der Agrarpolitik wird gedanklich der Boden für eine flächendeckende Bewirtschaftung gelegt.

Wird Landschaft als Fläche verstanden, so ebnet man sie gedanklich ein, ihre Wahrnehmung als Ebene wird betont.

Die Metapher blendet aus:
Wahrnehmung und Gestaltung der Landschaft als Fläche drängen ortstypische Merkmale in den Hintergrund.

Wird Landschaft als Fläche verstanden, so werden Orte als beliebige Posititionspunkte in Flächen gesehen und verlieren ihren landschaftsprägenden Eigenwert. Beispiele: In einer Naturlandschaft werden Orte oft durch natürliche Objekte wie Findlinge, Gewässer, Bäume usw. definiert. In einer Kulturlandschaft kann eine Sitzbank unter einem Baum einen Ort schaffen. Steht derselbe Baum in einer homogenen Fläche, wird er auf einen durch Koordinaten bestimmten Positionspunkt in der Fläche reduziert.

Wird Landschaft als Fläche verstanden, so geraten ihre Unebenheiten aus dem Blick oder wirken als störend.

Die Metapher hebt hervor:
Der Flächenbegriff lenkt die Aufmerksamkeit auf die Oberfläche der Landschaft bzw. des Bodens.

Wird Landschaft als Fläche wahrgenommen, so erscheint die Nutzung von Feldern, aber auch die Anlage von Siedlungen und Verkehrswegen primär als ein Phänomen in der Horizontalen, an der Oberfläche, z.B. als sog. Flächenverbrauch.

Werden Landschaften als Flächen verstanden, so rücken sie gedanklich in die Nähe anderer Phänomene, die als Flächen gelten, z. B. Dachflächen, Verkaufsflächen, Wohnflächen, Sitzflächen, Tanzflächen etc.

Die Metapher blendet aus:
Der Flächenbegriff macht blind für die Tiefendimension und blendet so das Leben im Boden aus.

Werden Landschaften als Flächen verstanden, so geraten die Übergänge in einem vertikalen Kontinuum aus dem Blick (im Unterschied etwa zu den Begriffen Raum oder Boden). Der Raum unter der Erdoberfläche und damit der Lebensraum vieler Kleinlebewesen und Pflanzen wird gedanklich ausgeblendet.

Gabriele Broll, Professorin für Geoökologie und Bodenforschung an der Universität Osnabrück und seit 2009 Präsidentin des Bundesverbandes Boden, erklärt: «Aus Sicht des Bodenschutzes ist es zu bedauern, dass der Naturschutz in der Regel bei den Kompensationsmassnahmen nur an die Natur, die auf dem Boden lebt, und nicht an die Lebewesen im Boden denkt. Dabei gehören diese Lebewesen selbstverständlich auch zur Natur. Die Biodiversität im Boden ist an den meisten Standorten sogar höher als diejenige auf dem Boden» (Broll 2014, 3).

Herleitung und Vertiefung

Literaturverzeichnis

Broll, Gabriele (2014). Konkurrenz um Fläche wächst. Umwelt Aktuell. Infodienst für europäische und deutsche Umweltpolitik. Berlin: oekom. 3: 2-3.

Lakoff, Georg / Mark Johnson (1980). Metaphors We Live By. Chicago and London: University of Chicago Press.