Wörter wie Stadtentwicklung, Landschaftsentwicklung und Raumentwicklung erfreuen sich grosser Beliebtheit. Auch Siedlungen, Gemeinden undRheinufer werden entwickelt und unter Begriffen wie Siedlungsentwicklung, Gemeindeentwicklung und Rheinuferentwicklung diskutiert. Dass Dinge sich entwickeln oder entwickelt werden, gilt heute als selbstverständlich. Schliesslich entwickeln sich auch Tiere, Pflanzen und Kinder. Dinge aller Art werden heute zur Entwicklung gebracht. Denken wir nur an neue Automodelle, an Computerprogramme, an Schulen und an die Entwicklungsländer. Der Ausdruck Entwicklung scheint durchgehend mit einem Pluszeichen versehen: Er wertet eine damit bezeichnete Handlung auf. Zugleich lässt er jeden Status quo als provisorisch und veränderungsbedürftig erscheinen.
Seit dem Jahr 2000 existiert in der Schweiz das Bundesamt für Raumentwicklung (ARE). Es stellt sich im Sinne des Zweckartikels der Bundverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft in den Dienst einer nachhaltigen Entwicklung.[1] «ARE ist die Fachbehörde des Bundes für Fragen der räumlichen Entwicklung, für die Verkehrspolitik, die nachhaltige Entwicklung sowie die transnationale Zusammenarbeit in räumlichen Belangen.» www.are.admin.ch (15.3.15), Bundesverfassung Art. 2 Absatz 2 (2.4.15)Das Bundesamt für Raumentwicklung ersetzt ein früheres Amt, das unter dem Titel Bundesamt für Raumplanung wirkte.[2] Im Jahr 2000 wurde das Bundesamt für Raumplanung (BRP), das bisher dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) zugeordnet war, ins Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) transferiert. Dort wurde die Alpenkonvention» und Raumplanung mit dem Dienst für Gesamtverkehrsfragen sowie mit den bisher im BUWAL angesiedelten Dossiers « «Nachhaltige Entwicklung» zu einem neuen Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) zusammengefasst. www.uvek.admin.ch (19.3.15)Heute besitzt jede grössere Stadt eine Abteilung für Stadtentwicklung, und Universitäten haben Professuren für Landschafts- und Raumentwicklung eingeführt. Entwicklung erscheint als eine Losung unserer Zeit. Wie ist dies zu erklären?
Stellen wir ein Wort wie Stadtentwicklung neben die Begriffe Stadtumbau oder Stadterweiterung, so wird spürbar, dass der Entwicklung etwas Naturhaftes anhaftet. Der Entwicklungsbegriff ruft den Deutungsrahmen (Frame) des Natürlichen und Organischen auf. Er lässt menschliches Entwicklungshandeln als Naturkraft erscheinen. Da wir Natürliches gewöhnlich als positiv empfinden, erscheint auch die Stadtentwicklung als fraglos positiv. Die Übertragung des Wortes Entwicklung aus dem Sinnbereich des Natürlichen auf das menschliche Handeln, z. B. die Bautätigkeiten in einer Stadt, macht Entwicklung zu einer Metapher.
Positiv gewertet ist Stadtentwicklung zweifellos auch, weil sie einen Vorgang als zukunftsgerichteten Prozess der Entfaltung und Verbesserung erscheinen lässt. Entwicklung ruft in unserem Gehirn einen Deutungsrahmen auf, zu dem auch Begriffe wie Wachstum und Wirtschaft gehören.
Sein Einsatz in Verwaltung und Wissenschaft verleiht dem Wort Entwicklung Würde und Prestige. Wer von Landschaftsentwicklung spricht, verweist heute nicht nur auf Landschaft, sondern auch auf eine Regierungs- oder Verwaltungsstelle, die mit der Landschaft umgeht, «etwas Gutes aus ihr macht». Dem Wort haftet ein expertenhaftes Gepräge der Machbarkeit an. Dass Dinge sich entwickeln und entwickelt werden, erscheint heute als «selbstverständliche Eigenschaft aller Vorkommnisse» (Pörksen 1988, 31). Was aber unter Entwicklung genau zu verstehen ist und welche Ziele Entwicklung verfolgt, bleibt im Wortgebrauch oft blass und unbestimmt.[3]
Im Glossar des Bundesamtes für Raumentwicklung fehlen zum Beispiel Erklärungen für die Begriffe Raum und Entwicklung. www.are.admin.ch (15.3.15)
Im Folgenden stellen wir in schlaglichtartigen Gegenüberstellungen vor, welche Aspekte eines menschlichen Eingriffs in die Natur die Entwicklungsmetapher hervorhebt und welche anderen sie ausblendet und in den Hintergrund drängt. Weiter fragen wir, welche Folgerungen für die Praxis sich aus diesen Erkentnissen ergeben. In den darauf folgenden Abschnitten finden Sie die sprachwissenschaftliche Herleitung und Vertiefung.
Wird ein menschlicher Eingriff in die Natur als Entwicklung dargestellt, so erscheint diese als natürlich und selbstverständlich.
Eine als Entwicklung verstandene Handlung lenkt den menschlichen Umgang mit der Natur tendenziell in naturnahe Bahnen, da er sich an den Prinzipien des Organischen orientiert. Das Ergebnis einer so verstandenen Entwicklung ist natürlich und künstlich zugleich. Renaturierungen (vgl. Bild oben) sind treffende Beispiele dafür.
Landschaft oder Raum zu entwickeln kann beim «Entwickler» Allmachtsfantasien auslösen, da er oder sie sich in die Rolle jener Macht versetzt, die in der Natur Entwicklung erzeugt.
Das Wort verdeckt, dass menschliche Entwicklungsmassnahmen keinen Naturgesetzen, sondern menschlichen Zwecken folgen.
Das Wort verdeckt, dass menschliche Eingriffe in die Natur gewählt sind, einer genauen Begründung bedürfen und für Mensch und Natur auch Nachteile und Schaden nach sich ziehen können.
Es verdeckt, dass auch Nicht-Entwicklung gut und angemessen sein kann.
Werden Eingriffe in die Landschaft als Entwicklungen dargestellt, erscheinen sie als nahezu begründungsfrei. Nicht-Entwicklung dagegen erscheint als begründungspflichtig.
Jeder Status quo, z.B. einer Stadt oder einer Landschaft, erscheint als unfertig und veränderungsbedürftig.
Das Wort verdeckt die Frage danach, was eine Landschaft ohne eine solche Entwicklung ist.
Entwicklung legt ein Handeln in den Denkbahnen des Organischen nahe. Dies bedeutet, dass eine Landschaft oder eine Stadt als etwas Lebendiges und damit Ganzes wahrgenommen werden kann. Für den menschlichen Umgang mit der Landschaft gilt es, die mit dem Organischen verbundenen Aspekte des Begrenzten und ‹Naturnahen› bewusst wahrzunehmen und zu pflegen.
Umgekehrt sollte man dem Mobilisierungssog des Wortes nicht vorschnell nachgeben. Es ist nicht ausgemacht, dass eine Landschaft oder eine Stadt entwicklungsfähig oder gar entwicklungsbedürftig sind. Das Schlagwort Entwicklung suggeriert positive Veränderung und Tätigkeit. Im Wissen um die Verführungskraft des Wortes scheint es angezeigt, alle angeblich nötigen Entwicklungen vorsichtig zu prüfen. Nicht-Entwicklung und damit Bewahren, ist kein Defizit, sondern stets eine Option.
Ein Wort wie Raumentwicklung ist so abstrakt, dass es die konkrete Vielgestaltigkeit der Wiesen, Bäche, Hügel, Pflanzen, Tiere und Bewohner einem pauschalen Veränderungsanspruch unterzieht. Lokale Begebenheiten ebenso wie lokale Bevölkerungsgruppen gehören deshalb wahrgenommen und konsultiert, in Entwicklungsvorhaben einbezogen. Ansätze dazu bestehen. So spricht das Landschaftsentwicklungskonzept (LEK) des Bundesamtes für Raumentwicklung von einem partizipativ erarbeiteten Konzept zur Entwicklung einer Landschaft (Glossar der ARE »Landschaft”).
Den Gedanken vom Verb aus formulieren! Entwicklung oder entwickeln? Anders als Nomen leiten Verben dazu an, Urheber und Gegenstand einer Handlung offenzulegen. Der Nebel um Wortmonster wie »partizipativ erarbeitete Konzepte zur Entwicklung einer Stadtlandschaft” liesse sich lüften, wenn es hiesse: »Staat und Bevölkerung entwickeln ein neues Quartier, um neuen Wohnraum zu schaffen.» In solchen Formulierungen wird klarer erkennbar, wer handelt und was geschehen soll. Also Gedanken um Entwicklung besser vom Verb aus formulieren!
Ein Blick in die Wortgeschichte führt Bemerkenswertes zu Tage. Ursprünglich, d.h. bis ins Zeitalter der Aufklärung, stand entwickeln noch als Gegenwort zum Ausdruck wickeln.[1] Im linguistischen Sinn handelt es sich um ein konverses Antonym. Es drückt dieselbe Beziehung mit vertauschten Rollen aus. Beispiele: kaufen-verkaufen, geben - erhalten etc.Wickeln bedeutete Faserbündel um einen (Spinn-)Rocken binden, eine Bedeutung, die heute im medizinischen Wickel (Essigwickel) oder im Wickeln von Kindern (mit Windeln) noch gegenwärtig ist. Ursprünglich hiess entwickeln also, ein derartiges Wickeln rückgängig zu machen. Entledigte eine Mutter um 1700 ihr Kind seiner vollen Windel, so entwickelte sie es.
Im 18. Jh. erhält entwickeln die Bedeutung von «etwas Verwickeltes entwirren» im Sinne von «einen komplizierten Sachverhalt darlegen». Wer also etwas entwickelt, erklärt einen Sachverhalt Schritt für Schritt.
Um ca. 1800 folgt eine weitere Bedeutungsdifferenzierung: Aus dem transitiven Verb – ‘A entwickelt B› - wird nun das intransitive Verb ‘etwas entwickelt sich›. Aus der menschlichen Handlung an einem Objekt wird ein Sich-Entfalten, ein stufenweises Sich-Herausbilden des Objekts aus eigener Kraft (Duden 1997, Bd. 7, 813). Gleichzeitig kommt der Begriff Selbstentwicklung in Gebrauch (Pörksen 1988, 33). Aus der menschlichen Handlung der Entwicklung wird um 1800 ein Vorgang, dessen Ursache ungenannt bleibt. Nun können sich Dinge ohne menschliches Zutun entwickeln. Ihre Veränderung erscheint als Naturvorgang. Modell dieser Selbstentwicklung ist der lebendige Organismus. Seit Kant wird ein Organismus als ein Miteinander von Teilen verstanden, die Mittel und Zweck zugleich sind (Kant 1957, Bd. 5, S. 485/486). So wird zum Beispiel der menschliche Organismus nicht mechanisch von den Beinen allein bewegt, sondern immer vom ganzen Organismus. Muskelkoordination, Gleichgewichtssinn, Sehen, Hören und Tasten greifen ineinander. Dieses sich selbst organisierende Ineinanderwirken von Teilen und Ganzem folgt systemischen Vorgaben, die das Lebewesen kennzeichnen (Janich/Weingarten 1999, 115ff).
Vor dem Hintergrund dieses Organismusverständnisses gelangt der Entwicklungsbegriff im 19. Jahrhundert zu wissenschaftlichen Ehren. In seinem bahnbrechenden Werk über die Artenentwicklung, On the Origin of Species (1859), erhebt Darwin Entwicklung zum wissenschaftlichen Schlüsselbegriff. Nun entwickeln sich nicht nur einzelne Organismen, sondern Entwicklung treibt die gesamte Naturgeschichte voran. Die Veränderung der Lebensformen über die Jahrmillionen von den ersten Bakterien über die Pilze bis zum Homo Sapiens wird als Entwicklung verstanden. Bald darauf erklärt die marxistisch-leninistische Philosophie Entwicklung zu einer geschichtstreibenden Kraft. Für Darwin und Marx ist Entwicklung eine Kraft, die dem Gang der Dinge grundsätzlich innewohnt und Veränderungen in der Natur- und Kulturgeschichte antreibt, bei Marx ist diese sogar zielgerichtet. Der englische Soziologe Herbert Spencer (1820-1903) überträgt das Modell der biologischen Evolution auf die Gesellschaft und versteht Entwicklung als einen offenen Prozess der Differenzierung und des Aufstiegs einer Gesellschaft (K. Weyand in: Ritter et al. Hrsg. 1972, 555).
In der Biologie bildet sich ein Verständnis heraus, das sich an der Entwicklung des Einzelwesens (Ontogenese) orientiert. Hier bedeutet Entwicklung die zielgerichtete Entfaltung genetischer Anlagen vom Gen hin zu ihrem Wirkungsort im Organismus (H. Engländer, in Ritter et al., Hrsg. 1972, 562).
Einmal in den Kreis wissenschaftlicher Schlüsselbegriffe aufgenommen, steigt das Wort im 20. Jahrhundert zum Leitbegriff unzähliger Lebensbereiche auf. Soziale Entwicklung, Kriegsentwicklung, Wirtschaftsentwicklung, Persönlichkeitsentwicklung werden zu Triebfedern historischer Veränderungen. Als Metapher ist das Wort «mehrheitsfähig» (Pörksen 1988, 34) geworden, ein Schlüssel für sehr vieles. Der Begriff steht nun pauschal als Gegenbegriff zum Stillstand.
In der Diskussion um ‹unterentwickelte› Länder, Entwicklungsländer und Entwicklungshilfe erfährt der Ausdruck Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg eine Bedeutungserweiterung. Wirtschaftsentwicklung bedeutet nun wirtschaftliche Mengenausweitung zur Verwirklichung von Wohlstand. Entwicklung wird damit fast gleichbedeutend mit Wachstum. Doch Wachstum wird schon bald nicht mehr als organischer Vorgang verstanden. Dies ist daran erkennbar, dass dem Begriff Wachstum in den 1970er-Jahren von linken und ökologisch orientierten Kreisen mit Gegenbegriffen wie humanes Wachstum, umweltverträgliches Wachstum und Nullwachstum begegnet wird (vgl. Stötzel, Wengler 1995, 78—81, 680ff). Ist heute von Entwicklung von Ländern, Gesellschaften und Volkswirtschaften die Rede, so ist damit meist quantitatives Wachstum gemeint, das primär am Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemessen wird. Der Umstand, dass Armut und Elend trotz Wachstum fortdauern, begleitet von zunehmend desaströsen Auswirkungen auf die Umwelt, führt in der Folge zur politischen Leitidee der nachhaltigen Entwicklung. Mit deren Grundlegung im Brundtlandbericht 1987 wird nachhaltige Entwicklung zu einem Konzept, um dessen inhaltliche Konkretisierung Regierungen sowohl lokal als auch global intensiv ringen. So wird zur Umsetzung nachhaltiger Entwicklung neu ein «Gesellschaftsvertrag für eine Grosse Transformation» (WBGU 2011) gefordert, und die Vereinten Nationen haben 2015 neue Zielvorgaben für alle Länder dieser einen Welt verabschiedet.[2] www.un.org (2.4.15)
Welche Folgen hat dieser Bedeutungsreichtum, verbunden mit der Vagheit, die dem Wort anhaftet, für die Landschaft? Genauer: Welche Aspekte der Landschaft und des menschlichen Umgangs mit Landschaft werden durch die Entwicklungsmetapher betont? Und umgekehrt: Welche Sichtweisen werden durch sie verdeckt und der Wahrnehmung entzogen?
Die heute gängigen Wörter wie Raumentwicklung, Landschaftsentwicklung oder Stadtentwicklung eröffnen zwei Verstehensweisen. Entwicklung kann etwas Gewordenes meinen, einen naturhaften Vorgang, etwa die Entwicklung einer Moränenlandschaft oder eines Flussdeltas. Gemeint ist eine Eigentätigkeit der Natur, die ohne menschliche Einwirkung abläuft, also ausserhalb des sozialen, politischen und kulturellen Handelns geschieht. Seit Aristoteles wird Natur als etwas verstanden, das «Anfang oder Ursache seiner Veränderung in sich trägt» (Janich/Weingarten 1999, 68).
Entwicklung im Sinne einer Eigentätigkeit der Natur ist mit der Vorstellung des Organischen verbunden. Für einen Organismus gilt, wie oben skizziert, dass er aus Teilen besteht, die Mittel und Zweck zugleich sind. Ein Organismus ist daher etwas, das aus Teilen besteht, die sich zugleich als ein Ganzes selbst erhalten.
Wird nun etwa Stadtentwicklung als ein Sich-Entwickeln verstanden, als organischer Vorgang vergleichbar der Entwicklung einer Pflanze oder eines Kindes, so suggeriert Entwicklung Natürlichkeit und Vollendung zu einer Ganzheit hin. Mit einer organischen Entwicklung verbinden wir auch Vorstellungen des Langsamen und eines Prozesses, der einer inneren Gesetzmässigkeit folgt.
In einem zweiten Verständnis kann Entwicklung aber auch eine menschliche Handlung, zum Beispiel eine Massnahme, bezeichnen. Menschen entwickeln etwa einen ländlichen Raum, eine Stadt oder eine Flusslandschaft. Sie gestalten diese nach ihren Vorstellungen um, «verbessern sie», «bringen sie voran» und folgen dabei ihren eigenen menschlichen Zielen und Zwecken.
Im Nomen Entwicklung finden wir die Bedeutungsvarianten «von Menschen gemacht» und «natürlich gewachsen» verbunden und in der Schwebe gehalten. Anders als das Verb, das zwischen sich entwickeln (natürlich) und etwas entwickeln (künstlich) unterscheidet, verschleiert das Nomen, wer Urheber der Veränderung ist: die Natur oder der Mensch?
Man darf die gedankenleitende Wirkung dieser Doppeldeutigkeit nicht unterschätzen.
Sie kann uns dazu führen, ein entwickeltes Objekt (eine Stadt oder Landschaft) als ein sich entwickelndes Subjekt zu sehen (genitivus subjectivus) oder als ein Objekt, das von Menschen planmässig entwickelt wird (genitivus objectivus). Die metaphorische Übertragung hat zur Folge, dass wir Implikationen des einen Verständnisses auf das andere übertragen. Ein Beispiel: Unser Wissen über Kinder-, Pflanzen- und Moränenentwicklung kann uns dazu verleiten, die künstliche Entwicklung einer Stadt oder eines Flussufers als natürliche Entwicklung zu sehen. Wir nehmen die Handlung Stadtentwicklung als Naturvorgang wahr, der natürlichen Vorgaben folgt, der naturgegeben und deshalb positiv und schwerlich beeinflussbar ist. Dieses ‹Abfärben› des Naturvorgangs auf die menschlichen Handlung lässt uns die Handlung bejahen: Handlungen wie Stadtentwicklung, Raumentwicklung, Rheinuferentwicklung, Siedlungsentwicklung, Entwicklungshilfe und Entwicklungszusammenarbeit, nachhaltige Entwicklung, Regionalentwicklung erscheinen als positiv und notwendig, weil sie unterschwellig Entwicklung als Prozesse interpretieren, die im Einklang mit natürlichen Gesetzmässigkeiten stehen. Würde man sie Planung, Umbau, Ausbau oder Vergrösserung nennen, sähe die Sache ganz anders aus.
Aber auch die umgekehrte Optik ist möglich. Die Natur kann zum Leitfaden menschlichen Handelns werden. Aus der Sicht der Entwickler kann menschliches Entwicklungshandeln (etwa der Umbau eines Flusses oder einer ganzen Landschaft) als ein Vorgang verstanden werden, der sich an den Prinzipien einer natürlichen Entwicklung orientiert, sich also nach Regeln des Organischen, des ‹Naturnahen› richtet, die Natur nachzuahmen versucht. Die menschlichen Entwicklungshandlungen folgen dann einerseits menschlichen Zwecken (etwa dem Überschwemmungsschutz) und werden zugleich in ‹natürliche› Bahnen gelenkt. Artefakt und Natur werden dabei nicht mehr klar unterschieden. Menschliches Handeln tut (in Teilen), was ihm die Natur vorgibt.
Der folgende Text über die Umgestaltung der Rheinauen bei Rastatt zeigt diese Zweideutigkeit des Entwicklungsverständnisses an einem konkreten Beispiel auf.
Der Text beschreibt einerseits Handlungen, die Umgestaltung des Flussufers. Er verweist andererseits auf einen autonomen Naturvorgang, auf das Ufer, das sich entwickelt und sich entwickeln darf, zweimal ausgedrückt in einer Reflexivkonstruktion. Im Titel finden wir Naturvorgänge und menschliche Handlungen unter dem Wort Entwicklung zusammengefasst. Der Hinweis auf das Handlungsziel, ein «naturnahes Flussufer», macht aber zugleich deutlich, dass es um die Verwandlung eines ursprünglich naturfernen Flussufers geht. Die menschliche Handlung sucht also eine Renaturierung. Hier soll ein von Menschen geschaffener naturferner Zustand, die sog. «Uferbefestigung», und »Steinsicherung» entfernt und der Fluss in Teilen seiner eigenen Dynamik überlassen werden. Anders als die kriegerische «Befestigungs»-Metapher, die eine Abwehrhandlung gegen die Natur ausdrückt, zielt die Entwicklungsmetapher auf ein Miteinander von Mensch und Natur.
Dieses Miteinander lässt sich präzisieren: Auffällig ist, dass Naturvorgänge im Text als vom Menschen gewährte Vorgänge dargestellt werden: Das Ufer «darf sich entwickeln». Im letzten Satz kommt etwas Weiteres hinzu: Hier kippt der Sachtext unvermittelt in die Kategorie Werbetext um. Eine Stimme lädt die Leserinnen und Leser ein, diese Flussuferentwicklung als Zuschauer mitzuverfolgen. Das Flussufer erscheint als für Zuschauerinnen und Zuschauer inszeniert. Der Mensch ist ‹Regisseur› von Naturvorgängen und menschlichen Entwicklungshandlungen. Auffällig ist auch, dass der Text diesen ‹Regisseur› hinter Passivkonstruktionen (wurde abgeschlossen, wurde herausgenommen) und einer Nominalkonstruktion (nach Entfernen) verbirgt. Menschliche Handlungen werden so anonymisiert. Hier sind offensichtlich «höhere Stellen» am Werk, die nicht genannt werden wollen.
Im Ganzen stellen wir fest, dass Natur in diesem Entwicklungsverständnis nicht etwas Wildes ist, das es zu zähmen und ganz zu beherrschen gilt. Natur ist vielmehr ein Reich mit autonomer Dynamik, die man in kontrollierter Form sich selbst überlässt, weil man sich von ihrer Selbst-Entwicklung einen Vorteil verspricht. Menschliche und natürliche Entwicklung greifen ineinander.
Will man dieses Naturverständnis kulturgeschichtlich einorden, so kann man es als postmodernes bezeichnen. Kennzeichnend für dieses ist - verkürzt gesagt -, dass
Wir haben gesehen, dass das Verschmelzen beider Bedeutungen (sich entwickeln und entwickeln) in einem Wort das Nomen Entwicklung in einen eigenartigen Schwebezustand versetzt. Die künstliche Entwicklung (die menschliche Handlung) nimmt Züge eines naturhaften Vorgangs an, und der naturhafte Vorgang erscheint zugleich als menschliche Handlung. Welche Folgen ergeben sich für das Denken aus dieser Sphärenvermengung? Die konzeptuelle Metapher, die das Verbinden von künstlicher und natürlicher Entwicklung anleitet, lässt sich wie folgt formulieren:
MENSCHLICHE EINGRIFFE IN DIE NATUR SIND NATÜRLICHE VORGÄNGE.
Man kann die gedankenleitende Wirkung dieser Metapher erschliessen, indem man sie als Bündel von Schlussregeln versteht. Schlussregeln sind bedingte Folgerungsbeziehungen, die nach dem Muster «Wenn A = B, dann folgt daraus C » aufgebaut sind (vgl. Pielenz 1993, 105). Jede Argumentation beruht auf einer solchen Schlussregel. Ihr Nachvollzug hilft uns, die Metapher zu ‹knacken›, d.h. das in ihr versteckte Argument ans Licht zu bringen. Man geht dabei vom Herkunftsbereich (dem Bildspender) der Metapher aus und vergegenwärtigt sich die Folgerungen, die beim Verstehen der Metapher auf den Zielbereich (den Bildempfänger) übertragen werden. In unserem Beispiel sieht ein Bündel von Schlussregeln so aus:
Wenn menschliche Eingriffe in die Natur natürliche Vorgänge sind, dann
Der rechtfertigende Charakter der Metapher wird so offenkundig. Die Metapher begründet einen Sinnzusammenhang zwischen Natur und menschlichem Handeln von scheinbar unverbrüchlicher Geltung und beglaubigt die derart fixierten Haltungen und Werte (Pielenz 1993, 108). Behauptet zum Beispiel jemand, Stadtentwicklung sei notwendig, so kann er oder sie dies mit dem Hinweis auf die konzeptuelle Metapher MENSCHLICHE EINGRIFFE SIND ENTWICKLUNGEN (im Sinne natürlicher Vorgänge) begründen. Behauptet jemand, Stadtentwicklung sei nicht notwendig, so kann dies mit dem Hinweis auf die konzeptuelle Metapher entkräftet werden, denn Entwicklungen sind ja natürliche Vorgänge. Es ist ‹natürlich›, dass eine Stadt entwickelt werden soll, weil Entwicklung dem Wesen einer Stadt angeblich innewohnt.
Etwas Weiteres fällt auf. Das Wort Landschaftsentwicklung lässt einerseits zu, dass abgeschlossene Handlungen als naturähnliche Vorgänge erscheinen, weil sie als Entwicklungen beschrieben werden. Das Wort kann aber auch zu ‹naturnahen› Handlungen anleiten, indem es diese an Vorstellungen des Organischen orientiert. Organische Entwicklungen verlaufen in der Regel eher langsam und sanft und zielen auf ein Ganzes ab. Stellt man sich dieses Ganze als einen Körper vor, so hiesse dies etwa für eine Stadtentwicklung, dass Gebäude, Strassen und Menschen Organe in einem lebendigen Ganzen wären, dem man eine naturhafte Eigendynamik zugesteht. Das Sich-Entwickeln-Lassen des Flussufers in Text 1 zeigt eine solche organische Entwicklungshandlung auf. Naturvorgang und menschliche Handlung gehen hier Hand in Hand. Wie anders sähe dagegen eine Stadt- oder Flussuferentwicklung aus, würden die Folgerungen der Selbstentwicklung unterdrückt und die gedankliche Federführung allein Metaphern aus dem Bereich des Technischen überlassen, wie zum Beispiel Umbau, Flächen, Linien, Strecken und Funktionen.
Landschaftsentwicklung vs. Landschaftsumbau. Landschaft zu entwickeln bedeutet im Konkreten meist, dass Land bebaut wird. Bauen kann im Hochbau (Gebäude), Tiefbau (Strassen), Anbau (Pflanzen), Abbau (Erz, Kohle) oder Umbau (Veränderung) Gestalt annehmen. Die gedankenleitende Wirkung des Ausdrucks Landschaftsentwicklung gewinnt im Kontrast zum Ausdruck Landschaftsumbau besonders klar Profil.
Landschaftsentwicklung | Landschaftsumbau |
---|---|
Menschliche Landschaftsentwicklung trägt Züge einer naturhaften Veränderung (wie das Wachstum einer Pflanze oder eines Kindes). | ist klar als menschliche Handlung erkennbar. |
wirkt selbstbegründend, evident, ist eher Notwendigkeit als Option. | setzt Klärung eines Bedarfs und einer Legitimation voraus. |
scheint einem organischen Prinzip zu folgen (vgl. Entwicklung der Gliedmassen etc.). | basiert auf einem technischen Plan von Behörden und ihrer Sachverständigen. |
zielt auf eine Entfaltung hin zu einer Ganzheit oder auf Vervollkommnung ab. | folgt menschlichen Zielen und Zwecken. |
ist im Voraus positiv gewertet, mit ‹Vorschusslorbeeren› versehen. | erscheint in Bezug auf seinen Erfolg neutral. |
Die Gegenüberstellung von Umbau und Entwicklung macht den zwiespältigen Charakter der Entwicklungsmetapher deutlich. Suchen wir einen schonenden, auf Geben und Nehmen gerichteten Umgang mit der Natur, so kann die Entwicklungsmetapher uns dabei helfen. Die Metapher kann menschliches Handeln gleichsam «in natürliche Bahnen» lenken, indem sie das Entwickeln und das Sich-Entwickeln verschmilzt. Wo Entwicklung stattfindet, ist leicht ein Miteinander von menschlichen und natürlichen Ansprüchen möglich. Gerade weil das Wort nicht klar unterscheidet, ob es einen Naturvorgang oder ein menschliches Handeln meint, kann es aber auch das Bedürfnis erwecken, fortwährend entwickelnd zu handeln. Es trägt damit Züge eines Plastikworts.
Entwicklung trägt Merkmale eines Plastikworts, wie es Uwe Pörksen definiert hat (Pörksen 1988). Im Folgenden halten wir seine wichtigsten Merkmale fest.
Entwicklung ist wie Plastik, semantisch, d.h. in seiner Bedeutung, beinahe beliebig formbar. Das Wort fügt sich umstandslos in alle Sinnbereiche ein, denen heute gesellschaftliches Interesse zukommt. So etwa in der Biologie (Entwicklung der Organismen und der Arten), in die Pädagogik (Schulentwicklung), in der Ökonomie (Unternehmensentwicklung, Wirtschaftsentwicklung), die Psychologie (Persönlichkeitsentwicklung) bis hin zur Technologie (Telekommunikationsentwicklung und der gesamten Menschheit (nachhaltige Entwicklung). Entwicklung ist damit ein Allerweltswort. Seine vieldeutige Allgemeinheit macht es mehrheitsfähig.
In seiner Anwendung weckt das Wort kaum sinnliche Vorstellungen. Anders als Bau oder Umbau erscheint es kaum je in einem konkreten Zusammenhang. Kein Baggerführer würde etwa erklären, er entwickle gerade das Rheinufer. Das Wort wirkt semantisch vage, etwa so viel wie Veränderung und Verbesserung. Es fehlt ihm eine klare Denotation (Kernbedeutung), die sich benennen liesse. Äusserlich gleicht das Wort wissenschaftlichen Begriffen, doch dem Sprecher, der Sprecherin fehlt meist die Definitionsmacht (vgl. Glossar des Bundesamtes für Raumentwicklung (ARE), in dem eine Begriffsbestimmung von Raumentwicklung fehlt). Dafür dominieren seine Konnotationen (Nebenbedeutungen). Das Wort ‹riecht› nach Fortschritt und bedeutsamen Vorhaben.
Dies lässt sich an Text 2 über die Rheinuferentwicklung zwischen Mainz und Wiesbaden illustrieren.
Was wäre konkret «perspektivische Entwicklung von Freiräumen»? Der Wortgebrauch signalisiert vor allem eines: Hier handelt sich um Verlautbarungen von einer höheren Stelle. Weitere positiv konnotierte und bedeutungsschwache Wörter wie Qualifizierung, kooperativ und Freiräume treten hinzu. Hier wird ein vermeintliches Defizit befriedigt. Was geschehen soll, bleibt im Dunkeln. Lokale Besonderheiten werden negiert.
Der Wortgebrauch rückt den Sprecher bzw. die Sprecherin weg von der Alltagswelt ins Reich der Fachleute und bringt Menschen, die nicht vom Fach sind zum Verstummen. Das Plastikwort ist, wie Uwe Pörksen ausführt, « eher ein Instrument der Unterwerfung als ein Werkzeug der Freiheit» (Pörksen 1988, 120).
Durch seine breite Brauchbarkeit erweckt Entwicklung ein Bedürfnis, das vorher nicht bestand. Das Wort macht auf Defizite aufmerksam und fordert zugleich zu deren Befriedigung auf (Pörksen 1988, 120). Sein Prestige und die vage Bedeutung verstärken seine deontische Wirkung (gr. deon = sollen). Es wirkt mobilisierend. Wenn sich jede Pflanze entwickelt und jedes Kind, wenn sich Arten und Gesellschaften entwickeln, dann erscheint als natürlich, dass sich auch Landschaften und, noch abstrakter, Räume, entwickeln und der Mensch diesen Vorgang als Entwickler unterstützt.
Wörter wie Raumentwicklung oder Landschaftsentwicklung muten paradox an. Landschaft etwa als Landschaftsbild und weit deutlicher noch Raum sind in ihrem Wesen eher statisch. Mit dem Zauberstab der Entwicklung berührt, verwandeln sie sich in Handlungsräume, in denen der Handlungsbedarf regiert. Getrieben durch die Wortmagie einer Raumentwicklungspolitik und ihrem gedanklichen Instrument, der Steuerung der Raumentwicklung, wird der Raum dynamisch. Planer und Politikerinnen deuten Landschaft in einen Baukasten um, in dem es gilt, unablässig planend, gestaltend und damit entwickelnd tätig zu sein. Entwicklung wird so zu einem Gut. Das Wort wirkt wie eine Ressource.
Das Wort Entwicklung stärkt seine Überzeugungskraft, indem es Seilschaften mit Wörtern wie Wachstum, Fortschritt und Zukunft eingeht. Diese sind in ihrem Argumentationswert teilweise austauschbar, Bausteine in einem Baukasten: Wachstum bedeutet Entwicklung, Fortschritt heisst Wachstum. Und nehmen wir weitere Plastikwörter dazu, so erweitert sich der Baukasten: Struktur, Konzept, Prozess, Basis, Qualifizierung etc. Belege dazu finden sich in Text 2.
Wie ist mit diesem Befund umzugehen? Bestimmt nicht, indem man ein Verbot für das Plastikwort ausspricht. Ein Schlüssel zum Umgang mit dem Wort Entwicklung liegt in seinem bewussten Gebrauch. Sind wir uns seiner Wirkung nämlich bewusst, können wir seinen Einsatz dosieren und es dort einsetzen, wo wir seine Stärken nützen können. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn wir im Siedlungsbau von Innenentwicklung sprechen. Mit dem Wort Entwicklung wird es möglich, Menschen, Gebäude, Tiere und Pflanzen mitzudenken und sie in einen organischen Vorgang miteinzubeziehehn. Wo von Innenentwicklung, statt Verdichtung, die Rede ist, wird bauliches Handeln leicht in natürliche Bahnen gelenkt. (Vgl dazu Kapitel 8.) Klärend kann aber immer auch der Gebrauch des Verbs sein. Wo nicht pauschal von Entwicklung die Rede ist, sondern von einer Person, die entwickelt, wird deutlich, was geschieht und leicht auch, welche Gründe die Handlung hat.
Duden (1997). Das Herkunftswörterbuch, Nr. 7, Mannheim: Dudenverlag.
Glossar zum Raumkonzept Schweiz (2011). Bundesamt für Raumentwicklung http://www.are.admin.ch/glossar/index.html?lang=de (14.3.15).
Janich, Peter, Michael Weingarten (1999). Wissenschaftstheorie der Biologie. München: Fink.
Kant, Immanuel (1957). Kritik der Urteilskraft. Werke Band 5 (hrsg. W. Weischedel). Frankfurt: Suhrkamp.
Kühne, Olaf (2013). Landschaftstheorie und Landschaftspraxis. Eine Einführung aus sozialkonstruktivistischer Perspektive. Wiesbaden: Springer.
Pielenz, Michael (1993). Argumentation und Metapher. Tübingen: Narr.
Pörksen, Uwe (1988). Plastikwörter. Die Sprache einer internationalen Diktatur. Stuttgart: Klett-Cotta.
Ritter, Joachim, Karlfried Gründer und Gottfried Gabriel (Hrsg.) (1972). Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 2. D-F. Basel: Schwabe.
Stötzel, Georg, Martin Wengeler (1978). Kontroverse Begriffe. Geschichte des öffentlichen Sprachgebrauchs in der Bundesrepublik. Berlin, New Work: de Gruyter.
WBGU 2011 World in transition – A social contract for sustainability. Berlin: Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen.