Eingefleischt: Fleischessen als Norm

von Hugo Caviola
— 2021 —

Dass in der Schweiz so viel Fleisch gegessen wird, hat nicht nur mit der Massentierhaltung und den tiefen Fleischpreisen zu tun. Nutztierhaltung, Schlachten, Fleischzubereiten und -essen sind auch tief in unserer Sprache verankert und damit Teil unseres Denkens und Fühlens. Fleisch besiedelt mit ‘fleischhaltigen’ Redewendungen und Metaphern unsere Alltagssprache. Wie oft drängen sich uns doch Sprachbilder und Redewendungen auf, deren wir uns gar nicht als ‘fleischhaltig’ bewusst sind. So lassen wir Menschen in ihrem eigenen Saft schmoren oder stellen fest, dass ein Prüfungskandidat gegrillt wurde. Sind wir uns uneinig, so rupfen wir zusammen ein Hühnchen. Und wenn es wirklich drauf ankommt, geht es bekanntlich um die Wurst.

Im Folgenden stellen wir weitere Fleisch-Metaphern vor, grob nach den Stationen geordnet, die das Fleisch auf seinem Weg vom lebendigen Tier bis zum Steak auf den Teller durchläuft. Danach fragen wir, wie das Denken in diesen Metaphern unsere Ernährungskultur anleitet und welche sprachlichen Wege es gibt, die uns zu einem anderen Umgang mit den Tieren und einem massvolleren Konsum von Fleisch führen können.

Nutztiere auf der Weide und im Stall

  • Das Büro ist ein wahrer Schweinestall. Hier gehört dringend aufgeräumt.

  • Manche betrachten den Staat als Milchkuh, die man beliebig melken kann.

  • Das Cockpit ist aufgeräumt, aber wegen des vielen Plastiks keine Augenweide.

  • Viele Forschungsgebiete der Geschichte sind schon abgegrast.

  • So ein Unsinn: Auf wessen Mist ist denn diese Idee gewachsen?

Nun geht es in die Metzgerei

  • Die Verkäufer haben Jakob das Fell über die Ohren gezogen. Er lässt sich so leicht betrügen.

  • Ich habe mit dir ein Hühnchen zu rupfen. So geht das nicht weiter.

  • Jacqueline ist ziemlich abgebrüht. Ihr kann man nichts vormachen.

  • Sie haben ihn beim Kartenspiel tüchtig ausgenommen.

  • Finanziell war er danach komplett ausgeblutet.

  • Die gegnerische Partei hat die Affäre für ihre eigenen Zwecke ausgeschlachtet.

  • Leo hat seine Erlebnisse in eine wirre Erzählung verwurstet.

  • Was wurstelt ihr da? Wie kann man nur so kopflos vorgehen?

  • Sind wir tatsächlich nur dazu da, um anschliessend durch den Fleischwolf gedreht zu werden? (Die Zeit, 25.02.1980, Nr. 08)

  • Wir machen aus unseren Gegnern Hackfleisch.

Dann in den Metzgereiladen

  • Die Filetstücke der Firma wurden verkauft. Was bleibt, ist ein Gerippe.

  • Der Picasso war ein fetter Braten. Wir haben ihn für eine Million verkauft.  

  • Mit ihren Versprechungen haben sie uns den Speck durch den Mund gezogen.

  • Mit Speck fängt man bekanntlich die Mäuse.

Sodann in die Küche

  • Wer sich an der Sonne braten lässt, muss mit Hautschäden rechnen.

  • Sie haben den Kandidaten während einer Stunde gegrillt. Doch er hat bestanden.

  • „Ganz allmählich hört man es wieder brutzeln in der Gerüchteküche der Bundesliga.“ (90min, 19. April 2020)

  • Wir lassen ihn ein wenig in seinem eigenen Saft schmoren. Er soll nachdenken. 

  • Da liegt also der Hase im Pfeffer! Das war nicht auf Anhieb klar.

  • Der Präsident ist ein Aufschneider, er prahlt und hält sich für den Grössten.

  • Doch seine Gegner verhandeln nach der Salamitaktik.

Schliesslich auf den Tisch und den Teller – und darüber hinaus

  • Im Speisesaal hängen einige goldgerahmte Schinken ohne grossen Wert.

  • Ran an den Speck! Packen wir es an.

  • Heute geht es um die Wurst. Es wird entschieden, wer den Zuschlag erhält.

  • Wollt ihr mehr vom Braten abbekommen? Dann investiert in Aktien!

  • Die Wohlhabenden liessen sich im Speckgürtel der Stadt nieder.

  • Dann stiegen allmählich die Steuern. Als die Reichen den Braten rochen, zogen viele weg.

  • Mit diesen Wurstfingern wird aus dir kein Gitarrist. Versuch es doch mit der Trompete.

  • Das Instrument ist mir Wurst. Ich will einfach in eine Band.

  • Nach der Stellungnahme der Kantone ist an der anfänglichen Vorlage kaum mehr Fleisch am Knochen.

  • Sie umschlang mich mit ihren wurstigen Armen, stolperte neben mir her und sah stolz zu mir auf. (Brussig, Thomas: Helden wie wir, Berlin: Verl. Volk und Welt 1996 [1995], S. 180)

  • Schau nicht so wurstig vor dich hin und spiel nicht die beleidigte Leberwurst! Nimm deine Niederlage hin und erwarte keine Extrawurst.

  • Max, dieses Würstchen, taugt zu nichts!

  • Tim hat in der letzten Zeit etwas Speck angesetzt. Er will nun mehr Sport treiben.

  • Nun, wenn er etwas gegen seine speckigen Haare unternimmt, ist schon viel gewonnen!

  • In einer stark abgespeckten Zeremonie haben Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris ihren Amtseid abgelegt. (NZZ, 21.01.2021)

Fleischessen als Denk- und Gefühlsmodell

Verbreitung und Besitznahme: Fleischmetaphern besiedeln nahezu alle Bereiche der Wirklichkeit. Verwenden wir Fleischmetaphern wie die oben aufgeführten, so verwandeln wir – meist unbewusst – fleischfremde Bereiche in Fleischangelegenheiten:

  • Häuser, Gemälde und Gemüse werden zum Filetstück, zum fetten Braten oder zu Speck,

  • die Geldanlage zum fetten Braten,

  • Finger und Arme verwandeln sich in Würste und

  • ein Mensch, der abgebrüht ist, wird als ganzer zum Fleischstück.

Überblickt man die Fülle der historisch gewachsenen Sprachbilder, so könnte man meinen, die Fleischwirtschaft beriesle uns mit einer Schleichwerbung, die weite Teile der Wirklichkeit in ihrem Interesse umdeutet und sie in Schlachthäuser, Fleischküchen und Fleisch-Restaurants verwandelt. Die Metaphern müssen dazu partout nicht positiv sein. Auch negative Sprachbilder wie die Wurstfinger, das Grillen und Ausbluten bis hin zu den speckigen Haaren zeugen von der herausragenden Stellung des Fleisches als Denk- und Gefühlsmassstab. Wer sich mit Fleischbildern verständigt, nutzt – und bestärkt – hintergründig die Geltung des Fleisches als Bezugsgrösse. Selbst Fleisch zu essen, ist dazu gar nicht nötig.   

Gefühlsträger: Fleischmetaphern vermitteln meist starke Gefühle. Werden Kandidaten gegrillt, Sonnenbadende gebraten, Menschen durch Erfahrungen abgebrüht, anderen die Felle über die Ohren gezogen, dann interessiert uns vor allem die starke sinnliche Erfahrung, die dabei zum Ausdruck gelangt. Und auffällig ist: Gewöhnlich sind Menschen beim Schlachten und Braten die Täter, die Tiere die Opfer. Wenn wir Menschen braten, grillen oder brühen, kehren wir diese Rollen um und machen Menschen zu Schlachtopfern. Doch spricht aus diesem Rollenwechsel auch eine Anklage gegen die Täter und Mitgefühl mit den Tieren? Wohl kaum. Die Umkehrprobe scheint gedanklich und gefühlsmässig blockiert. Grillen wir einen Menschen oder drehen ihn durch den Fleischwolf, so gehen wir mit ihm wie mit einem Nutztier um. Und allein dies ist abwertend. Sprachbilder des Bratens und Grillens erfüllen also vor allem eine negative expressive Funktion. Sie drücken etwas unangenehm Drastisches aus, das haften bleibt. Sie zehren dabei beiläufig von der ‘eingefleischten’ Abwertung der Nutztiere, wie sie in zahlreichen Schimpfwörtern zum Ausdruck kommt (Du Sau!, du Kuh!, du Huhn! Du Gans!). Die Neurowissenschaften haben unlängst belegt, dass sinnliche Vergleiche starke Gefühle vermitteln. Ein Lob wie: Das war eine süsse Postkarte wirkt viel stärker als die schlichte Form: Das war eine nette Postkarte (Citron und Goldberg 2014). Dies dürfte ein Grund dafür sein, dass sich die drastische Fleisch-Metaphorik bis heute am Leben erhält, auch in einer Zeit, die dem Fleischessen kritischer begegnet als frühere.

Hochwertung /Abwertung und Normalität: Während viele Schlachtmetaphern drastische Leidensbilder abgeben, stellen andere Fleischmetaphern Hochwertiges und Begehrenswertes dar. Man will vom Braten genug abbekommen und kauft die Filetstücke eines Unternehmens auf. Auch der Speckgürtel deutet auf Wohlstand, wenn auch mit einem Schuss Ironie. Sehr hoch hängt in der deutschen Sprache die Wurst. Dies hat historische Gründe in der deutschen ‘Wurstkultur’, die sich auch in volkstümlichen Bräuchen niederschlägt. In der Tradition des ‘Wurstschnappens’ winkt die Wurst als Preis in einem Spiel, bei dem es gilt, eine hochgehängte Wurst mit dem Mund zu schnappen. In den Wurstfingern und den wurstigen Armen rückt die Wurst den Menschen gleichsam auf den Leib. Sie dient, wie auch das arme Würstchen, als Vergleich, der Menschen herabsetzt. Auch das Verwursten und Wursteln ziehen aus der Wurst eine negative Wertung.

Hier geht es um die Wurst: Wurstschnappen (https://rohrbach-nostalgie.de/2014/03/20/die-geschichte-des-wanderclub-edelweiss-und-seiner-wanderhuette/ 09.01.2021)
Gewiss: Einige der genannten Metaphern sind heute kaum mehr lebendig. Ihre Vergleichswirkung ist verblasst. Der Aufschneider schnitt am mittelalterlichen Hof das Fleisch auf, ein hohes Amt, mit dem man auch prahlen – eben: aufschneiden – konnte. Mit dem Ende der höfischen Welt ging auch der Fleischbezug des Wortes Aufschneider verloren. Auch die beleidigte Leberwurst ist heute verblasst, weil der Glaube, wonach die Leber die Quelle des Bluts und der Sitz der Gefühle sei, medizinisch überholt ist. Was bleibt, ist einzig der Verweis auf eine Wurst, die eben keine Karotte und keine Kartoffel ist. (Im Französischen ist le boudin die Blutwurst, heute noch im Verb bouder = schmollen gegenwärtig.)

Wo immer der Fleischbezug der Metaphern gedanklich lebendig ist, sei dies bei der Wurst, beim Schinken oder beim Braten, zeugen die ‘fleischigen’ Redewendungen und Metaphern von der Normalität des Fleischverzehrs und der Nutztierhaltung. Sie sind sprachliche Speicher einer vergangenen Ernährungskultur, verweisen aber auch auf heute. Wer einen Satz sagt wie: Jetzt geht es um die Wurst, gibt indirekt zu verstehen: Würste haben einen hohen Wert. (Denn es ist eben die Wurst, und nicht der Apfel, um den es geht.) Aber auch wer erklärt, etwas sei ihm wurscht, macht ein, wenn auch abwertendes, Urteil über Fleisch. Man darf die Wirkung von Metaphern nicht unterschätzen. Der breite Gebrauch der Fleisch-Metaphern zeigt an, dass Fleischessen in unserer Kultur (noch weitgehend) als eine Norm gilt, die Denk- und Handlungsmodelle für viele andere Lebensbereiche bereithält. Dass zum Fleischessen auch das Züchten, Mästen, Schlachten, Zubereiten und Verspeisen von Tieren gehört, versteht sich von selbst. Bei jedem Gebrauch einer Fleisch-Metapher eröffnet sich in unserem Denken ein sog. Frame, ein Deutungsrahmen, der auf eine ‘normale’ gesellschaftliche Praxis verweist. Diese umfasst eingespielte Gewohnheiten, Traditionen, Gesetze und Rezeptbücher ebenso wie Zuchtbetriebe, Fütterungsanlagen, Schlachthöfe und reicht bis zum Festessen, Fleischmesser und Gartengrill.

Sprachgebrauch, der eine fleischarme Ernährung stärkt

Was lässt sich also tun aus einer Sicht, die Distanz nimmt von der Norm des selbstverständlichen Fleischverzehrs? Drei Schritte scheinen sinnvoll:

  1. Werden wir uns der ‘fleischbestärkenden’ Wirkung der Metaphern bewusst!

  2. Vermeiden wir diese sprachliche Aufrechterhaltung der Fleischnorm nach Möglichkeit (ohne daraus ein sprachpolizeiliches Programm abzuleiten)!

  3. Suchen wir nach Alternativen!

In manchen Fällen lassen sich Alternativen leicht finden. Dann ersetzt man die Fleischmetapher einfach durch ein anderes kulinarisches Sprachbild. Also: Etwas vom Braten abbekommen wird zu etwas vom Kuchen abbekommen. Schwieriger fällt das bei einer Wendung wie Das ist mir Wurst.[1] Es gibt zwei Erklärungen für die Bedeutung von Wurst im Sinne von gleichgültig: (1) Sie stammt vom Blick auf die beiden gleichen Enden der Wurst. (2) Die Metzger steckten alle möglichen Fleischreste in die Wurst, welche genau, war ihnen ‘wurscht’. Hier könnte man in ein Bild ausweichen, das nichts mit dem Essen zu tun hat: Das ist mir so lang wie breit, egal, gleichgültig, einerlei, schnurz. Auch Begriffskreuzungen weisen neue Wege. Vegetarische und vegane Neuerungen kommen nicht selten in der Verpackung und im Aussehen von Fleischspeisen daher und tragen Namen wie Veggie Burger und plant based Gehacktes. Neue Rezepte heissen Blumenkohl-Steak und Tofu-Auberginen-Gulasch. Sie sind Beispiele dafür, wie Pflanzliches auf leisen Sohlen in der Fleischkultur Fuss fassen kann.

Literaturverzeichnis

Francesca Citron und Adele Goldberg (2014): „Metaphorical Sentences Are More Emotionally Engaging than Their Literal Counterparts”, in: Journal of Cognitive Neuroscience (online am 6. Mai 2014; doi:10.1162/jocn_a_00654).