Ferkelerzeugung / Schweineproduktion / Besamungseber versorgen bis zu hundert Sauen / Tageslichteinfall von 3 Prozent der Grundfläche der Ställe / arbeitsminimierende Aufstallungsform / Wurfgrössen / Erdrückungsverluste / Tageszunahme / Fleischleistung / Bemuskelung / Schlachtreife / Abferkelbuchten bieten arbeitswirtschaftliche Vorteile /Ferkelbetäubungssachkundeverordnung
Formulierungen wie diese entführen uns in eine Welt, welche den meisten fremd ist: die Welt der Massentierhaltung. Die Zitate stammen aus dem Wikipedia-Eintrag zum Ausdruck Schweineproduktion. Aus ihnen spricht ein Geist von technischer Raffinesse, wirtschaftlichem Kalkül und verwaltungstechnischem Eifer, welche das Leben und Sterben von Mastschweinen beherrschen. Dass diese sprachlichen Absonderlichkeiten mit dem übermässigen und billigen Fleischkonsum in der heutigen Wohlstandsgesellschaft zusammenhängen, wird leicht übersehen.
Doch Vorsicht: Tiere mit Nutzvorstellungen zu verknüpfen, ist in der europäischen Kultur nicht neu. So geht das Wort Vieh auf das althochdeutsche Wort fihu zurück, das auch Geld und Besitz bedeutete. Im Englischen finden wir diese wertbezogene Bedeutung des Wortes im Ausdruck fee (= Gebühr) bis heute (Duden, das Herkunftswörterbuch 1997, S. 790), während für das deutsche Wort Vieh heute die englischen Wörter livestock und cattle stehen. Ein wirtschaftlicher Umgang mit Tieren hat eine lange Tradition.
In den letzten Jahrzehnten hat sich die traditionelle Landwirtschaft tiefgreifend verändert. Einerseits hat sich eine BIO-Tierhaltung ausgebildet, die man als Gegenbewegung zum industriellen Umgang mit den Tieren sehen muss (Sauerberg und Wirzbitza 2013). In diesem sind die Schlachttierzahlen insgesamt, die Tierzahlen je Betrieb und die sog. Leistungen, d.h. der Fleischertrag pro Tier, drastisch gestiegen. Heute dominieren in Deutschland lediglich vier Schlachtkonzerne den Markt, in der Schweiz sind es zwei, Bell und Micarna. Diese schlachten 50-60 Prozent der Schweine im Land. Die restlichen Tiere verteilen sich in der Schweiz auf rund 30 Schlachtbetriebe.[1] www.schlachthof-transparent.org (abgerufen am 10.09.2020)
Im Folgenden untersuchen wir die Zusammenhänge zwischen dem Sprachgebrauch und dem Umgang mit Mastschweinen genauer mit den Methoden der Diskurslinguistik und zwar mit Blick auf den Wikipedia-Eintrag zum Begriff Schweineproduktion. Wir wollen wissen, welches Tierbild, und welche Interessen in einem Text zum Ausdruck gelangen, der als Lexikon-Eintrag typischerweise eine neutrale Darstellung anstrebt.
Schweine und Menschen sind stammesgeschichtlich eng verwandt und teilen zahlreiche Eigenschaften, die mit denselben Wörtern bezeichnet werden. So atmen und schlafen beide, sie haben Beine und einen Kopf, sie hören mit Ohren und blicken mit Augen. Auch haben sie Eltern, Väter und Mütter und sind Allesfresser. Daneben gibt es auffällige körperliche Unterschiede, die sprachlich unterschieden werden. So haben Menschen Hände und Finger, Schweine hingegen Schwänze und Klauen. Auffällig ist, dass die Sprache über Schweine unterschiedliche Wörter bereithält für Dinge, welche Menschen und Tiere verbinden. Die folgende Übersicht zeigt links Wörter aus dem Wikipedia-Artikel Schweineproduktion, rechts die entsprechenden Begriffe für Menschen:
Schweine | Menschen |
werfen / der Wurf abferkeln / Ort: die Abferkelbucht | gebären, zur Welt bringen / die Geburt Ort: die Geburtsabteilung im Spital |
fressen | essen |
säugen | stillen |
decken | schwängern |
Gesäuge der Muttersau | weibliche Brust |
Ferkel / Ferkelnest, Ferkelfuttertrog, Ferkelbläser | Säugling, Baby, Neugeborenes |
trächtig, ferkelführend /Trächtigkeitsperiode, Trächtigkeitsstadium | schwanger/Schwangerschaft |
Tabelle 1: sprachliche Unterscheidung von Mensch und Schwein bzw. Tier. Wikipedia-Artikel zu Schweineproduktion https://de.wikipedia.org/wiki/Schweineproduktion (27.07.2020)
Mensch und Schwein erscheinen in zahlreichen Grundunterscheidungen als Verwandte. So gibt es für beide Lebewesen Wörter für das Zur-Welt-Kommen und die Nahrungsaufnahme. Doch Vorsicht: Es sind nicht dieselben. Menschen gebären und essen, Schweine hingegen ferkeln ab, werfen und fressen. Was man auch als verbindend sehen könnte, wird durch die Sprache in einen Mensch-Tier-Gegensatz aufgetrennt, welcher die Tiere abwertet. So gelten Ausdrücke wie fressen, werfen und trächtig stark herabsetzend, wenn man sie metaphorisch auf Menschen bezieht. Von einer trächtigen Frau zu sprechen, wäre mehr als geringschätzig.
Man kann diese sprachlichen Abwertungen der Tiere (im Vergleich zum Menschen) als Distanzierungsverfahren deuten, das es Menschen erleichtern, sich ihre evolutionär nahen Verwandten vom Leib zu halten (Fill 1993, S.107). Doch welche Gründe gibt es hierfür? Tiere herabzusetzen kann dem Zweck dienen, den Menschen als ‚Krone der Schöpfung‘ von den Tieren abzuheben. Natürlich gibt es auch kulturell verankerte positive Bewertungen von Tieren, etwa Symbole wie die Friedenstaube und den Glückskäfer oder Metaphern wie die fleissigen Bienen und Ameisen. Unzählige Alltagsvergleiche, Redewendungen und Metaphern aber werten Tiere systematisch ab und degradieren sie. Schimpfwörter wie Kuh, Esel, Affe, Huhn und Sauhund stehen zuoberst. Aber auch manche Tiervergleiche setzen Tiere herab. Wer isst wie ein Tier, wer schuftet, lebt, sich verhält, brüllt, schreit oder haust wie ein Tier, gilt als primitives und instinktgeleitetes Wesen. Diese beiläufige Abwertung der Tiere im alltäglichen Sprachgebrauch bereitet zweifellos auch den Boden für unseren Umgang mit den sog. Nutztieren.
Mit dem Wort Produktion wird unmittelbar ein ökonomischer Frame (Deutungsrahmen) aufgerufen, der den gesamten Umgang mit Tieren in ein ökonomisches Licht taucht. So finden wir im Wikipedia-Text zahlreiche Wörter und Sätze wie diese:
Schweineproduktion, Kreuzungsprodukte, Ferkelerzeugung
Das Yorkshire-Schwein bietet sehr hohe Tageszunahmen und sehr gute Wurfgrössen und fettarmes Fleisch. Das Hampshire-Schwein ist für seine Fleischleistung bekannt.
Muttersauen werden nach ihren genetischen Gesundheits-, Zunahme- und Fleischqualitätseigenschaften ausgewählt.
alle Zitate aus https://de.wikipedia.org/wiki/Schweineproduktion (27.07.2020)
Innerhalb des ökonomischen Frames muss es als selbstverständlich erscheinen, dass die Vorgänge in einem Schweinemastbetrieb Schweineproduktion genannt werden. Der Ausdruck Produktion rückt die Mast in die Nähe eines industriellen Vorgangs, vergleichbar der Schuh-, Uhren- oder Reifenproduktion. Aus tierethischer Sicht fällt an der Produktionsmetapher auf, dass sie das gesamte Leben der Tiere nicht als Naturvorgang bestehen lässt, sondern es in einen industriellen Herstellungsprozess umdeutet. Man darf die Wirkung dieser Umdeutung nicht unterschätzen. Die Tiere werden nun in warenähnliche Sachgrössen verwandelt. Ein Umgang mit ihnen wird möglich, der sich kaum vom Umgang mit anderen Industrieprodukten unterscheidet. Ausgeblendet werden
ihre Individualität,
ihre Integrität und Leidensfähigkeit und
ihr nicht-ökonomischer Eigenwert als Lebewesen.
Entscheidend ist, dass diese Verwandlung nicht erst nach ihrer Schlachtung geschieht, sondern dass sie bereits im Lebendzustand und im Grunde schon bei ihrer Zeugung als „Produkte“ bestimmt sind (Mahlke 2014, S. 57). Dies lässt sich an der Grammatik des Verbs produzieren zeigen. Der grammatische Bauplan des Verbs produzieren verlangt erstens einen Akteur, den Menschen, der produziert, und zweitens eine Bezugsgrösse im Akkusativ, die produziert wird, das Schwein.
Akteur | Verb | Zielgrössen im Akkusativ |
Der Mensch
| produziert | Schweine. |
Die Firma XY
| produziert | Reifen. |
Das ‚produzierte‘ Tier wird - gestützt durch den ‚Denkplan‘ der Grammatik - zu einer passiven Verfügungsgrösse des Menschen gemacht.
Der Frame wirkt. Ist dieser ökonomische Deutungsrahmen (Frame) einmal durch den Oberbegriff Schweineproduktion gesetzt, so wird es möglich, das ökonomische Vokabular fortzuspinnen und den wirtschaftlichen Umgang mit den Tieren weiter auszudifferenzieren. Nun kann sich ein Fachvokabular ausbilden, das Aussenstehende auf Anhieb befremdet, aber im Zusammenhang der sog. Tier-Produktion als ‚normal‘ erscheinen muss. Wir lesen etwa von Fleischleistung, von Kreuzungsprodukten, von Besatzdichte, Fleischqualitätseigenschaften, Ferkelerzeugung, Gruppenabferkelung, Abferkelbuchten, Wurfgrössen, Tageszunahmen, von einem auf Leistungsmaximierung und Arbeitsaufwandminderung ausgelegten Maststall. Wir treten ein in eine sprachliche Welt, die alles nicht auf Fleischproduktion Gerichtete ausklammert und sich weitgehend vom Alltag abgekoppelt hat. Diese sprachliche Abkoppelung von der Alltagssprache geht meist einher mit der räumlichen Auslagerung der sog. Schweineproduktion in spezialisierte Tier’produktions’anlagen. Diese stehen nicht mehr in der bäuerlichen Dorfgemeinschaft, sondern in gesonderten Betrieben im Industriequartier. Aus dem Schweinestall auf dem Hof wird nun eine Tierfabrik (oder leicht beschönigend ein Mastbetrieb). Waren Schweine vor ihrer lückenlosen Industrialisierung noch in einer alltagsnahen Sprache des bäuerlichen Lebens erfasst, zu der Wörter wie Sau, Ferkel, füttern, schlachten, früher auch Waldweide, wühlen und Eichelmast gehörten, werden sie in der industriellen Massentierhaltung wie ‚Mastmaschinen‘ produziert (Klopp/Gottwald 2019, S. 92).
Die sprachliche Macht über die Tiere erschöpft sich aber nicht in ihrer Verwandlung in Produkte. Die sog. Schweineproduktion bringt auch Denk- und Handlungsweisen hervor, die nur indirekt dazu dienen, das Schweineleben ökonomisch zuzurichten. Dies sei am Beispiel zweier Wörter illustriert.
Zum sog. Pietrain- Schwein führt der Wikipedia-Artikel aus:
Durch seine Umzüchtung auf ‚NN-Stressresistenz‘ hat es heute wegen seiner ausgezeichneten Bemuskelung eine grosse Bedeutung als Vaterrasse für Mastschweine.
https://de.wikipedia.org/wiki/Schweineproduktion (12.08.2020)
Auffällig ist hier das Nomen Umzüchtung, das sich vom Verb umzüchten herleitet. Es erstaunt nicht, dass sich die Masthaltung auch der bekannten Kulturtechnik des Züchtens bedient. Züchten stammt vom Verb ziehen ab und bezeichnet einen Vorgang, bei dem jemand auf einen Gegenstand einwirkt, der verwandelt (‚gezogen‘) wird. Auch das Erziehen von Kindern, das Aufziehen von Pflanzen und Nachkommen bis hin zum Zuchthaus für Verbrecher gehen auf das Verb ziehen zurück.
Dass Wort umzüchten geht einen Schritt weiter. Mit der Vorsilbe um- verweist es, ähnlich wie etwa die Verben umleiten, umwandeln, umgruppieren, umformen etc., auf eine angestrebte Verwandlung eines Gegenstandes. Das Tier wird hier weitgehend als Sachvorstellung wahrgenommen und auch wie eine Sache behandelt.
Hinzu kommt, dass beim Züchten und Umzüchten nicht das Einzeltier interessiert. Züchten meint Tätigkeiten, die sich auf eine Generationenfolge von Tieren beziehen. Züchten und Umzüchten greifen in das arttypische Sexual- und Fortpflanzungsverhalten der Tiere ein. So lesen wir etwa im Wikipedia-Text, dass die Gebärmutter der Sau etwa drei Wochen braucht, um sich zurückzubilden, wonach die Ferkel entwöhnt werden und die Sau erneut angepaart wird, um mindestens zwei Würfe pro Jahr und Sau zu erreichen. Anpaaren, aber auch Natursprung, künstliche Besamung und Gruppenabferkelung sind Schlüsselbegriffe im industriellen Umgang mit der Fortpflanzung der Tiere.
Auffällig ist auch das Nomen Bemuskelung. Bei Reitpferden oder Schafen bezeichnet das Wort die Ausstattung des Körpers mit Muskeln, also einen Zustand. Für die Beschreibung von Menschen ist es höchst selten. In der sog. Schweineproduktion wird Bemuskelung zu einer Art technischem Vorgang, die züchterische ‚Herstellung‘ von Tieren mit Muskeln. Gedanklich lässt sich dieser Vorgang vom Verb bemuskeln herleiten. Bemuskeln drückt einen Vorgang aus, bei dem ein aktives Subjekt (der Mensch) auf ein passives Objekt (das Schwein) einwirkt und mit bestimmten Eigenschaften ausstattet. Das Verb bemuskeln wirkt dabei ähnlich wie andere be-Verben, zum Beispiel beatmen, bebauen, beschneiden, bewässern, bestrahlen, bewirtschaften, beweiden. Bezieht man Verben dieser Art auf Lebendiges, so wird dieses Lebendige in eine passive Sachvorstellung verwandelt, die dem menschlichen Handeln ausgeliefert ist. Nicht selten drücken be-Verben den Einsatz technischer Mittel aus. Man denke etwa an Bewässerungsanlagen und Beatmungsgeräte. Wer also darauf aus ist, ein Schwein zu bemuskeln, handelt zielgerichtet mit der Absicht, den ‚Gegenstand‘ Schwein gleichsam technisch (mit der Gabe bestimmten Futters) mit Muskeln auszustatten (Caviola, Kläy, Weiss 2018, S. 156ff). Zugespitzt ausgedrückt: Man kann heute Traktoren betanken, Hufe beschlagen, Wände beschriften und offensichtlich auch Schweine bemuskeln.
Im Wikipedia-Text lesen wir:
Nordamerikanische Rassen sind besonders auf hohe Reproduktionsraten, Tageszunahmen und geringen Fettanteil angelegt.
Die zentrale Kennziffer der Mast sind die Tageszunahmen.
In beiden Sätzen wird das Leben der Tiere auf einen einzigen Zweck verkürzt, ihre messbare Gewichtszunahme pro Zeiteinheit, die sog. Fleischleistung. Die Autoren eines monumentalen Werks zur Schweineproduktion halten zu dieser Beobachtung treffend fest: „Die wichtigsten Geräte für den Schweinemäster sind Waage und Rechenstift“ (Weiss et al. 2000. S. 598).
Die Industrialisierung zeigt sich auch in der Reduktion der Tiere auf ihre Zählbarkeit (Quantifizierbarkeit): Der Ferkelschutzkorb dient vor allem dazu, um Erdrückungsverluste zu vermeiden. Die Besatzdichte darf nicht zu dicht ausfallen, um Rangkämpfe unter den Schweinen zu vermeiden. Die Tiere erscheinen wie physikalische Teilchen verdichtet. Wo sie unter dem Gesichtspunkt ihrer Besatzdichte, ihrer Bestände, mit Kennziffern und Tageszunahmen und Erdrückungsverlusten gesehen werden, regiert ein Denken, das die Tiere als verwertbare Mengen bestimmt. Auch diese Reduktion beraubt sie ihrer Individualität, macht sie als Einzelwesen unsichtbar.
Entindvidualisierung zeigt sich auch in den folgenden Sätzen:
Das Large White oder Yorkshire-Schwein bietet sehr hohe Tageszunahmen, sehr gute Wurfgrößen (11–13) und sehr fettarmes Fleisch und ist daher die verbreitetste Rasse.“ (…)
Das Hampshire-Schwein ist schwarz mit einem weißen Gürtel und weniger für seine Wurfgrößen als für seine Fleischleistung bekannt.
Diese Beschreibung setzt ein wie eine Werbeanzeige. Das Tier wird vorgestellt wie eine Ware, die etwas bietet, nämlich hohe Tageszunahmen. Sie reduziert die Tiere nicht nur auf ihr Fleisch (fettarm und Fleischleistung), sie reduziert sie auch auf ihre Gattungszugehörigkeit, das Yorkshire- oder Hampshire-Schwein. Jedes von ihnen kann gedanklich jederzeit durch ein anderes aus seiner Gattung ersetzt werden. Sie werden homogenisiert, - d.h. gleichgemacht und austauschbar.[1] Homogenisierung gibt es durchaus auch bei Menschen, etwa im Militär, fassbare etwa in Wörtern wie Truppenbestände, oder -verluste) oder wenn Einzelne auf ihre Rassenzugehörigkeit reduziert werden.
In den Elternbetrieben finden nur die Jungsauen aus Grosselternbetrieben Verwendung, da diese dann mit Sperma von Kreuzungsebern besamt werden.
(https://de.wikipedia.org/wiki/Schweineproduktion, 12.08.2020)
Die Ausdrücke Eltern und Grosseltern vermenschlichen die Schweine, sie rufen den Frame der Familie auf, ein Konzept, das der Massentierhaltung eigentlich fremd ist und die Spannung zwischen der Kreatürlichkeit der Tiere und ihrer Verwandlung in Industrieprodukte noch verstärkt. Die Rolle des Vaters ist hier auf die des „Kreuzungsebers“ beschränkt. Wir lesen weiter:
Schweine verbringen als Wildtiere 70% ihrer Zeit mit der Nahrungssuche und -aufnahme. An der Stallhaltung wird bemängelt, dass die Tiere ihrem typischen Verhalten, beispielsweise der Körperpflege, dem Sozialverhalten, dem Erkunden sowie Wühlen und Scharren, je nach Stallbeschaffenheit nur eingeschränkt nachkommen können. Verhaltensstörungen, die die Schweine als Folge entwickeln können, sind unter anderem Leerkauen, Stangenbeissen und Trauern, Schwanz- bzw. Ohrenbeissen und Kannibalismus. Diesem Verhalten kann man versuchen durch die Gabe von Stroh und anderen Beschäftigungsmaterialien entgegenzuwirken.“
(https://de.wikipedia.org/wiki/Schweineproduktion, 12.08.2020)
Dieser Text zeigt schonungslos, welche Folgen die Masthaltung für die Schweine haben kann. Hier wird nicht nur eine äusserlich sichtbare Verhaltensstörung wie Beissen beschrieben, sondern auch auf das Leid hingewiesen, das den Tieren widerfährt. Es wird als Trauern beschrieben. Mit dem Wort Trauern ruft der Text einen Frame auf, der Schlachtschweinen eine Sensibilität zuschreibt, die menschlichem Innenleben sehr ähnlich erscheint und daher im Rahmen der industriellen Produktion der Tiere fremd erscheint. Was als Trauern beschrieben wird, müsste Tiermäster eigentlich alarmieren und die Tiermast als Quälerei erscheinen lassen. Doch schauen wir genauer hin.
Unter dem Suchwort „Trauern“ (bei Schweinen) liefert Wikipedia die folgende Erklärung:
Trauern ist ein Verhalten bei Schweinen in der Schweineproduktion. Beim Trauern sitzen die Tiere hundeartig auf ihrer Hinterhand, häufig an die Buchtenwand gelehnt mit gesenktem Kopf und teilweise oder ganz geschlossenen Augen. Dabei zeigen sie keine Reaktionen und wirken apathisch. Die Störung tritt am häufigsten auf bei Sauen im Kasten- oder Anbindestand sowie bei Mastschweinen in der Haltung ohne Einstreu.
(Wikipedia: Trauern / Schweine)
Interessant ist, dass mit diesem Wort trauern hier nicht direkt auf ein alltagssprachliches Trauern verwiesen wird, ein Trauern etwa, das wir Menschen um eine Verstorbene empfinden. Neben Stangenbeissen und Schwanzbeissen erscheint Trauern hier als ein tierhalterischer Fachbegriff, der den Schweinemästern erlaubt, sich ein offenkundiges Leiden der Tiere leichter vom Leibe zu halten. Die Erklärung entrückt das tierliche Leiden an Schauplätze, die der menschlichen Erfahrung fremd sind (Buchten, Kasten- oder Anbindestand ohne Einstreu) und entfernt es so aus der menschlichen Empfindungswelt, so dass es am Ende als Nutztier-Befinden erscheinen muss. Die Erklärung sagt in etwa dies aus: Wir wissen, dass Schweine trauern, aber sie trauern eben auf Schweineart. Und da uns aus tierhalterischer Sicht an Schweinen vor allem ihr Fleisch interessiert, interessiert uns ihr Trauern nur insofern, als es sich auf ihre Fleischqualität auswirken kann. Beheben lässt sich die sog. Störung zudem durch die Gabe von Einstreu.
Der industrielle Umgang mit Nutztieren wird durch eine Sprache gestützt, welche die Tiere auf ihr Fleisch reduziert und ihr Leben restlos einem ökonomischen Nutzen unterordnet. Das Menschenähnliche an den sog. Nutztieren, etwa ihre Leidensfähigkeit, ihre Individualität, ihre sozialen und sinnlichen Bedürfnisse - werden systematisch aus dem Blick gerückt. Ein Mitgefühl mit den leidenden Tieren kann sich ausbilden, wenn man gleichsam um den ökonomischen Frame ‚herumdenkt’, das heisst, wenn man versucht, andere als quantifizierende Aspekte in ihre Wahrnehmung einzuführen.
Dies ist schwierig, weil Ausdrücke wie Produkt, produzieren und Produktion heute in vielen Lebensbereichen als das ‚Normale‘ gelten.
Heute ist nicht nur in der Herstellung von Waren, etwa Uhren oder Schuhen, von Produkten die Rede: Auch im Tourismus, im Bildungs-, und Bankenwesen hat sich ein Denken in Produkten durchgesetzt:
Die Kulturgüter eines Landes gelten als touristische Produkte,
Geldanlagen als Finanzprodukte,
projektartiges Lernen in der Schule gipfelt in Produkten.
Selbst Philosophie und Wissenschaft betreiben neu Wissensproduktion.
Auch die Ausbildung einer Dienstleistungsgesellschaft hinterlässt sprachliche Spuren. Was früher als schöne Aussicht galt, wird in der Geografie neu als Landschaftsdienstleitung beschrieben. Auch die Kirche ist Dienstleisterin geworden und betreibt Kirchenmarketing. Während die Gläubigen sich schleichend in Kunden verwandeln, betrachtet man Schweine unter dem Aspekt ihrer Fleischleistung. Die Beispiele zeigen, welch grosse Sogkraft das Denken im Wirtschaftsframe entfaltet. Das ökonomische Denken lässt Wirtschaftsvokabular in alle Lebensbereiche einsickern und verwandelt diese - sprachlich - in Wirtschaftsangelegenheiten.
Gelingt es nicht, dieses industrielle Produktionsverständnis durch Aspekte von Tiergerechtigkeit, Tierwohl, Umweltkosten etc. zu korrigieren, werden Tiere am Ende zu ‚Fleischmaschinen‘ degradiert. Das Bewusstsein, dass dies nicht geschehen darf, ist heute am Wachsen. Einer Stärkung des Tierwohls stehen allerdings starke ökonomische Interessen der industriellen Fleischproduzenten und Vermarkter ebenso wie staatliche Subventionierung der Fleischindustrie gegenüber. Aber auch die Gewohnheiten der KonsumentInnen stützen die Massentierhaltung. Ein historischer Vergleich kann dies illustrieren: Im Jahr 1956 kostete „herrlich saftiges „Nuss-Rollschinkli“ 10 Franken das Kilo. Im Advent 2020 bot Lidl ein „Delikatess-Nuss-Schinkli“ vom Schweizer Schwein für 11 Franken 90 pro Kilo an (NZZ, 19. Dez. 2020, S. 47). Der Preis für ein Kilo Brot hat sich in den vergangenen sechs Jahrzehnten verzehnfacht. Das Rollschinkli zu Weihnachten hingegen, früher ein kostspieliges Festmahl, kostet heute nur unwesentlich mehr als 1956. Ein Grund für das billige Fleisch liegt in seiner industriellen Produktion. Diese wird von einer techno-ökonomischen Sprache getragen, die an ein Gruselkabinett gemahnt. Haben Bauern vor zwei Generationen noch Rüben oder Weizen gepflanzt oder angebaut, um sie entweder selbst zu nutzen oder auf dem Markt zu tragen, so produzieren spezialisierte Agrarbetriebe heute Rüben und Weizen -und andere zum Beispiel Schweine. Sie brauchen dazu Absatzmärkte und ihre Produkte werden auf Qualität und Kundenbedürfnisse hin geprüft und zugerichtet.
Die subtile Macht hinter diesem Vorgang ist am augenfälligsten dort, wo sie Menschen in ein Sprach- und Denkkorsett zwingt, das ihren eigenen Interessen zuwiderläuft. Wenn etwa ein kleiner Biobauernbetrieb im Wallis auf einer Schiefertafel am Hofzaun erklärt: Wir produzieren für Sie Wein, Aprikosen und Kalbfleisch, so ist fraglich, ob hier wirklich eine Fleischproduktion gemeint ist. Doch welches wäre dafür - im Lichte des heute gängigen Sprachgebrauchs - das passendere Wort?
Alternative Formulierungen? Der Ausdruck Fleischproduktion ist sachgerecht für die Herstellung von Laborfleisch, das sog. Cultured Meat. Dieses entstammt nicht einem gemästeten Tier, sondern einer Gewebezüchtung. Zweifellos bemühen sich heute zahlreiche sog. Fleischproduzenten, das Tierwohl im Auge zu behalten. Um dies zu erreichen, müssen sie aber um den Produktionsbegriff ‚herumdenken‘ und sich von ihm lösen. Wer eine ökologische und tierfreundliche Haltung von Tieren anstrebt, ist herausgefordert, Begriffe zu wählen, die seinen bzw. ihren Absichten und Interessen besser entsprechen als das Wort Fleischproduktion.
Das Nomen Fleischversorgung rückt die Bedürfnisse der KonsumentInnen in den Blick. Fleisch - und damit auch das Tier hinter dem Fleisch - bleibt wie in der Produktion ein Gegenstand. Fleischversorgung trägt aber auch ein Mass für die Beschränkung aufs Nötige in sich, Fleisch erscheint als etwas, das dem Unterhalt des Lebens mit nötigen Dingen dient. Das Nomen könnte also im Ganzen zu einem massvolleren Umgang mit Fleisch anleiten. Eine Fleischproduktion dagegen richtet sich primär nach den Regeln des Marktes, welcher auch eine Überproduktion mit Dumpingpreisen erzeugen kann.
Das Nomen Fleischgewinnung beleuchtet die Tiere positiv als etwas Wertvolles, als ein ‘Gewinn’. Der Duden definiert „gewinnen“ wie folgt: „durch eigene Anstrengung [u. günstige Umstände] etwas Wünschenswertes erhalten“. Diese Begriffsbestimmung liesse sich gut nutzen, um die „Fleischproduktion“ ins Positive zu wenden, im Sinne von: Wer Fleisch will, soll
sich bemühen,
für günstige Umstände sorgen, also um das Tierwohl bemüht sein und
das Tier und seine gesunde Entwicklung als etwas Wünschenswertes betrachten.
Tier-Mensch-Verwandtschaft sprachlich bewusst machen: Würde die sprachliche Unterscheidung von Mensch und Tier aufgehoben, rückten die Masttiere (zumindest sprachlich) näher zu den Menschen. Warum also nicht von schwangeren, statt trächtigen Schweinen sprechen? Warum die Jungtiere nicht als Ferkel, sondern als Tierbabys bezeichnen? Warum Schweine nicht abferkeln, sondern gebären lassen? Joan Dunayer schlägt vor, sowohl für die menschlichen wie tierlichen Lebewesen die Begriffe Individuum und Person einzuführen (Dunayer 2001, S. 180ff). Weiter könnte man auch bei Tieren von Bevölkerung, essen, Schwangerschaft, gebären etc. sprechen. Um sprachlich auszudrücken, dass Tiere keine Gegenstände sind, könnte man sie als jemand, niemand, alle bezeichnen. Auch beim Fragewort wer könnten Tiere mitgemeint sein. Solche Neuerungen mögen anfangs irritieren, aber sie bieten Sichtweisen an, die sich später durchsetzen können. Der Philosoph Richard David Precht (2016) schlägt für die Benennungen der Tiere den Begriff Mitgeschöpfe vor. In diesem Wortgebrauch ist die aufklärerische Tradition des Mitgefühls ebenso gefasst wie die religiöse Tradition, welche in der Schöpfung den Menschen mit den Vierbeinern, den Vögeln und den Fischen verbindet. Auch heute gängige Ausdrücke wie Tierwohl und Tierleid rücken die Tiere näher zu den Menschen.
Nutztiere re-subjektivieren: Dies würde bedeuten, Tiere nicht als reines Nutz-Eigentum und als austauschbare ‚Einheiten‘ zu sehen. Klaus Petrus schreibt dazu: „Denn werden sie als Individuen gesehen – als Wesen mit einem eigenen Wohl und Wehe, mit Empfindungen, Bedürfnissen und Interessen –, so dürfte es den KonsumentInnen schwerer fallen, sie hinter den Nahrungsmitteln zu vergessen“ (Petrus 2013).
Adams, Carol (1990). The Sexual Politics of Meat. A Feminist-Vegetarier Critical Theory. New York: Continuum.
Adams,Carol (2002). Zum Verzehr bestimmt. Eine feministisch-vegetarische Theorie. Übersetzt aus dem Englischen v. Harrender, Susanna. Wien/Mühlheim an der Ruhr: Gutmann Peterson.
Bowry, Jaya (2019). „Beim Fussball geht es um die Wurst“. Die Stadionwurst als kulinarische Praxis. In: Rückert-John / Kröger, Melanie (Hrsg.) S. 146-167.
Caviola, Hugo, Andreas Kläy, Hans Weiss (2018). Sprachkompass Landschaft und Umwelt. Wie Sprache unseren Umgang mit der Natur prägt. Bern: Haupt.
Der Fleischatlas: https://www.boell.de/de/fleischatlas
Dunayer, Joan (2001). Animal Equality: Language and Liberation. Durwood: Rice Publishing.
Fill, Alwin (1993). Ökolinguistik. Eine Einführung. Tübingen: Narr.
Geiger, Theodor (1931). Das Tier als geselliges Objekt. In: Legewie, Hermann (Hrsg.) Arbeiten zur biologischen Grundlegung der Soziologie. Leipzig: Hirschfeld. S. 283-307.
Jansen, Sarah (2003). „Schädlinge“ Geschichte eines wissenschaftlichen und politischen Konstrukts 1840-1920. Frankfurt /New York: Campus.
Klopp, Nora / Franz-Theo Gottwald (2019). Tier- und konsumethische Aspekte des Umgangs mit Schweinen. In: Rückert-John et. al. (Hrsg.) 2019. S. 81-102.
Münchhausen von, Susanne / Andrea Fink-Kessler und Anna Häring (2019). „Beim Fleisch läuft’s immer etwas anders!“ Perspektiven zum Aufbau wertebasierter Wertschöpfungsketten. In: Rückert-John / Melanie Kröger (Hrsg.) (2019) S. 41- 66.
Petrus, Klaus (2013). Die Verdinglichung der Tiere. In: Chimaira Arbeitskreis für Human-Animals-Studies. Hrsg. Tiere Bilder Ökonomie. Aktuelle Forschungsfragen der Human-Animal- Studies. Bielefeld: transcript. S. 44-63.
Precht, Richard David (2016). Tiere denken. Vom Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen. München: Goldmann.
Rückert- John, Jana und Kröger, Melanie, Hrsg. (2019). Fleisch: Vom Wohlstandssymbol zur Gefahr für die Zukunft. Baden-Baden: Nomos.
Sauerberg, Achim und Wierzbitza, Stefan (2013). Das Tierbild der Agrarökonomie. Eine Diskursanalyse zum Mensch-Tier- Verhältnis. In: Birgit Pfau-Effinger undSonja Buschka (Hrsg.) Gesellschaft und Tiere Soziologische Analysen zu einem ambivalenten Verhältnis. Wiesbaden: Springer
Setzwein, Monika (2004). Ernährung – Körper – Geschlecht. Zur sozialen Konstruktion von Geschlecht im kulinarischen Kontext. Wiesbaden. In: Singer, Peter (1995). Animal Liberation. 2. Aufl. London: Pimlico.
Weiß, Jürgen/Pabst, Wilhelm/Strack, Karl Ernst/Granz, Susanne (2000): Tierproduktion. 12. Auflage. Stuttgart: Parey bei MVS.
Wiedenmann, Rainer E. (2005). Geliebte, gepeinigte Kreatur. Überlegungen zu Ambivalenzen spät-moderner Mensch-Tier-Beziehungen. In: Forschung & Lehre, Reihe, Nr. 6: S. 298-300.
Wilkeneit, Katja und Bärbel Schulz (2013). Hund in der Erwerbsarbeit der Dienstleistungsgesellschaft. Eine Untersuchung der Merkmale und Bedingungen qualifizierter Tätigkeiten von Tieren am Beispiel von Hunden. In: Pfau-Effinger, S. Buschka (Hrsg.), Gesellschaft und Tiere: Soziologische Analysen zu einem ambivalenten Verhältnis. Wiesbaden: Springer.